plastikarm

2015 war für uns ein sehr anstrengendes Jahr, das sich mit Händen und Füßen gegen jede Struktur gewehrt hat. Aber es war auch ein sehr aktives Jahr, in dem viel passiert ist. Was wir trotz allem Stress und all der Hektik plastikarm umsetzen konnten, woran wir unbedingt arbeiten und wo wir alle Fünfe gerade sein lassen müssen, will ich hier berichten.

Wer kennt das nicht – wir denken, schlimmer kann es nicht kommen. Solange bis das Leben kommt und uns eines Besseren belehrt. So erging es uns 2015. Wie froh waren wir als 2014 zu Ende war, wie zuversichtlich, dass es nur bergauf gehen kann…

Und es kam schlimmer

Einer meiner guten Vorsätze für 2015 war es, weniger theoretisch und mehr praktisch zu sein. Die Welt verändert man nicht allein durch reden und schreiben, auch wenn beides sicher wichtig ist.

Zum „Auftakt“ nahm ich mit den Kindern an der Antikohle-Menschenkette teil, die für uns ein sehr trauriges Ende hatte. Auf dem Weg nach Hause erfuhr ich, dass mein innig geliebter Kater Mokka bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Ich hatte lange daran zu knabbern, noch heute muss ich weinen, wenn ich an meinen kleinen schwarzen Freund denke. Er fehlt mir immer noch sehr.

Bereits einen Monat zuvor wurde mein Mann durch einen Artikel in der TAZ angetriggert und sah sich plötzlich mit Flashbacks eines Kindheitstraumas konfrontiert. Eine Weile schien es, als wäre der Aufbau einer Selbsthilfeseite nebst dazugehörigem Forum, den wir gemeinsam mit einem seiner Brüder in Windeseile vollzogen, seine Art der Vergangenheitsbewältigung. Aber so eine Seite ist irgendwann fertig und wenn sich im Forum nur wenige Betroffene melden, weil es eben ein Thema ist, zu dem immer noch viel zu oft geschwiegen wird und das vor allem, wenn es sich um männliche Opfer handelt, extrem schambesetzt ist, dann ist eben auch dort nicht mehr viel zu tun. Und so begann sich sein Kopf anstatt mit Layouts und Inhalten wieder mit der Vergangenheit zu beschäftigen, die ihn schier überflutete und dafür sorgte, dass mein Mann sich im August in der Akutstation der Traumaklinik in Krefeld Hilfe holen musste.

Just in dieser Zeit ging der Braunkohlewiderstand hier in die heiße Phase. Ende Gelände und Lebenslaute nebst dazugehörigen Demonstrationen sorgten dafür, dass das Haus immer voll, immer etwas zu berichten und wir, die Kinder und ich, häufig unterwegs waren.

Völlig ausgelaugt noch von zwei Nervenzusammenbrüchen in 2014 und der traurigen ersten Hälfte von 2015 hatte ich eine Mutter-Kind-Kur beantragt (über die ich zu einem späteren Zeitpunkt noch berichten werde). Der Termin kam mir nicht so ganz gelegen. Zwar waren Ende Gelände und Lebenslaute vorbei, aber die Rodungssaison begann mitten in meiner Kur und mein Mann sollte nach vier Wochen Akutklinik in die Reha, wann genau stand noch nicht fest. Trotzdem war es gut, dass ich gefahren bin. Sowohl mein Sohn als auch ich hatten eine Auszeit bitter nötig.

Nach der Kur ging es aber erst richtig los. Mein Mann war immer noch in Reha, mein Sohn hatte bereits vor der Kur ständig Husten, bei mir wurde während der Kur eine chronifizierte beidseitige Achillessehnenentzündung diagnostiziert, zu der sich Schleimbeutelentzündungen in beiden Schultern und nicht ausdiagnostizierte Beschwerden in den Hüften gesellten. Von da an riss und reisst die Rennerei von einem Arzt zum anderen nicht ab. Bei meinem Sohn wurde zwischenzeitlich Asthma diagnostiziert. Ich habe bis heute keinen vernünftigen Arzt gefunden, der nicht nur einen Fuß, eine Schulter ODER eine Hüftseite pro Quartal behandeln will.

An dieser Stelle kann ich mir eines nicht verkneifen:
Vielen Dank an die Deppen, die unser Gesundheitssystem stetig kaputtreformiert haben! Schön für Euch, dass Ihr Euch dank Einkommensgrenze aus dem von Euch durchlöcherten sozialen System verabschieden konntet, um Euch vermutlich dann, wenn Ihr alt und krank seid und Eure private Krankenversicherung Euch zu teuer wird, mit Hilfe einer kurzfristigen Arbeitslosigkeit und eines knapp über dem Satz liegenden Job dort wieder einzuschleichen, von wo Ihr Euch einst verpisst habt. Das ist fast so armselig wie die alten Säcke, die ihre Frau für eine Jüngere verlassen, um Jahre später wieder angekrochen zu kommen, wenn sie jemanden brauchen, der sie im Alter pflegt.

Plastikarm ist nicht plastikfrei

Ich sollte wohl langsam mal zum Punkt kommen: Um wirklich konsequent plastikfrei zu leben, bräuchte es Zeit um Dinge selbst zu machen, die Infrastruktur um Geschäfte zu erreichen, die plastikfreie Ware anbieten und einen freien Kopf um sich darüber Gedanken machen zu können. Auch ein gewisses Grundbudget um sich die ein oder andere teurere plastikfreie Alternative leisten zu können, kann von Vorteil sein. All das hat uns in 2015 gefehlt – erwähnte ich schon, dass unser Auto den Geist aufgegeben hat und wir es aus finanziellen Gründen gegen ein eBike eintauschen mussten? Und dass im Fall von längerer Krankheit Leistungsgeber nur selten Rücksicht auf die Termine privater Zahlungsverpflichtungen nehmen?

Auch für den ursprünglich wöchentlich geplanten Artikel zum Plastik-FreiTag haben mir oft der Kopf und auch die Zeit gefehlt. Manchmal habe ich dann Freitags einfach einen Link- oder TV-Tipp oder ein Lied zum Thema auf Facebook geteilt. Oder einen Artikel, den jemand anders geschrieben hat. Man muss das Rad nicht zwingend neu erfinden, aber so ganz glücklich war ich mit dieser Notlösung auch nicht. Immerhin sollte es beim Plastik-FreiTag vor allem auch darum gehen, wie wir als „normale“ Familie es bewerkstelligen können, möglichst plastikarm zu leben. Damit andere „normale“ Familien sehen, dass es geht und gar nicht schwer ist. Vielleicht muss ich mich langsam von dem Gedanken verabschieden, dass wir eine „normale“ Familie sind.

Plastikarm ist gar nicht schwer

Für 2016 habe ich mir vorgenommen, mein Augenmerk vor allem auf das Positive zu richten. Wenn ich mich daran halte, muss ich erkennen, dass trotz all der Krise nicht „Nichts“ gelaufen ist. Wir haben zwar zwischendrin sicher auch das ein oder andere Mal „kopflos“ eingekauft. Ich habe sogar mal eine Woche tatsächlich geplant nur Fertigfraß gekauft, weil ich wusste, dass mir in der Vorbereitung einer Demo und einer Kundgebungsveranstaltung einfach die Zeit zum Kochen fehlen würde. Aber viele Dinge liefen auch gut, haben sich mit der Zeit automatisiert und wir haben tatsächlich für Einiges auch unsere ganz individuelle Lösung gefunden.

Brot und Brötchen

Es war selten Zeit zum Backen. Aber wir haben daran gedacht, beim Bäcker immer darum zu bitten, uns das Brot (auch Geschnittenes) in Papiertüten statt in Plastiktüten zu packen. Wir kaufen auch schonmal das verteufelte Brot aus dem Backautomaten, weil es nicht so teuer ist und weniger plastiklastig als abgepackte Scheiben. Unsere Schwachstelle ist Vollkorntoast, das wir alle lieben. Wenn wir also doch mal Brot in der Tüte kaufen, dann werfen wir diese nicht weg. Wir recyceln sie, indem wir ein weiteres Plastikproblem damit lösen. Wir nutzen sie als…

Hundekotbeutel

Lange hatten wir dafür Butterbrottüten oder Beutel für den Kosmetikeimer genutzt. Was für ein Quatsch andererseits die Toastbrotverpackung in den gelben Sack zu werfen! Wir hatten auch schon nach umweltfreundlicheren Hundekotbeuteln Ausschau gehalten, diese aber allesamt als zu teuer für unser Budget befunden. Mittlerweile hält unsere Hundedame zuverlässiger bis zum Feld aus, da brauchen wir so viele Beutel zum Glück nicht mehr. Eine Freundin sammelt ab und an für uns mit, so dass wir auch deren Tüten einem neuen Nutzen zuführen.

Mülltüten

Eine Zeitlang haben wir komplett auf Mülltüten verzichtet. In diesen hektischen Zeiten ging dann aber das Einlegen von Zeitungspapier und das regelmäßige Reinigen der Eimer häufiger mal unter, so dass wir am Ende ständig eklig verschimmelte Behälter zu säubern hatten. Mittlerweile gibt es wieder Müllbeutel bei uns. Allerdings achten wir peinlichst genau darauf, dass diese geleert und nicht aus Bequemlichkeit mit in die Tonne geworfen werden. Wir nutzen sie, bis sie so durchlöchert sind, dass sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen.

Getränke

Unser Schwachpunkt ist Cola. Eigentlich sind keine Colatrinker, wenn wir Erwachsenen aber viel Stress haben und trotzdem Abends noch „Kopfarbeit“ leisten müssen, können wir manchmal der Versuchung nicht widerstehen. Lösung wäre da wohl, morgens schwarzen Tee aufzugießen, diesen nach dem Abkühlen in den Kühlschrank zu stellen und Abends als Eistee zu trinken. Wir arbeiten dran.

Ansonsten gibt es bei uns Tees, Wasser aus dem Hahn und aus Glasflaschen, ab und an mal ein Tetrapack Apfelsaft.  Für unterwegs nehmen wir Glasflaschen mit, für die Kinder nutzen wir (seitdem der Emil meines Sohnes zerbrochen ist) kleine Getränkeflaschen aus Glas, in denen ursprünglich mal fairer Eistee war. Auf die nächste Wunschliste kommen dann Soulbottles.

Duschen und Haarpflege

Mit Pubi hat man’s doppelt schwer. Zumindest wenn man einen in der Art meiner Tochter zu Hause hat, mit einer Affinität zu Kosmetik und Pflegeprodukten, die sie von mir nicht haben kann. Ständig stehen neue Shampoos und Spülungen am Badewannenrand. Milch, Honig, Seide, Früchte oder gar Avocados sollen aus dem morgendlichen Zauselkopf samtene Haare mit Glanz, Volumen und magischen Reflexen zaubern. Geduscht wird mit wilden Beerenmischungen, mit Gels, die wie Himbeereis aus den 70ern riechen oder aussehen wie zu flüssiger grüner Wackelpudding.

Ich kaufe ihr das Zeugs nicht. Ich kaufe Seife für Körper und Haare. Was sie allerdings mit ihrem Taschengeld macht, darüber können wir reden, aber grundsätzlich darf sie das frei entscheiden. Sie könnte es ja auch sparen und Haarseife nutzen. Ausprobiert haben wir die Brennesselseife von Savion. Gespült wurde mit einer Essigrinse aus etwa 2 EL Essig auf 1 Liter Wasser. Das Ergebnis ist echt klasse, sogar meine empfindliche und zu Schuppen neigende Kopfhaut war damit so zufrieden wie sonst lange mit nichts. Um die Versandkosten zu umgehen, haben wir uns im Laden neulich das feste Honigshampoo von Lush gekauft. Zwar war das Ergebnis immer noch besser als bei herkömmlichem Shampoo, aber so ganz glücklich war meine Kopfhaut damit nicht. Ganz schrecklich fand ich die schwarze Dudu Osun Seife, die mit und ohne Rinse meine Haare eingeschäumt in ein ziemlich klebriges Desaster verwandelte, das sich auch ausgewaschen nicht wirklich schön anfühlte. Abgesehen davon enthält sie Palmfett, ist also zwar plastikfrei, dennoch aber nicht unbedenklich für die Umwelt.

Meine Lieblingsseife für den Körper ist die Granatapfelseife von Alterra. Bei allen Seifen ist mir wichtig, dass sie nicht nach Kernseife riechen, irgendwie ist das ein Geruch, der mich bis kurz vor den Brechreiz katapultieren kann.

Zähne putzen

Unser diesjähriges Familienweihnachtsgeschenk bestand aus von den Kindern sehr hübsch bemalten kleinen Leinentaschen, in denen sich für jeden eine Hydrophil-Zahnbürste und selbstgemachte Zahnpasta bzw. -gel befanden. Die Zahnbürste ist aus Bambus, einem rasch nachwachsenden Rohstoff, die Borsten aus einer Art Bio-Nylon, das sich nach maximal 1,5 Jahren abgebaut hat. Ein guter Kompromiss in meinen Augen, weil ich es mir nicht hätte vorstellen mögen, mir meine Zähne mit Schweineborsten zu putzen.

Das Zahngel mit Kieselsäure und Xylit ist nach einem Rezept aus dem Internet hergestellt, von einer ganz tollen Seite, auf der es viele Rezepte auch für Kosmetika gibt und auf der man auch gleich die Zutaten für die Rezepte bestellen kann. Verpackt haben wir es in sehr dekorative nachfüllbare Glasbehälter mit Pumpverschluss. Wir haben unsere Zutaten Im selben Shop bestellt, in dem wir auch die Glasbehälter gekauft haben. Anstatt Minzöl haben wir Salbei und Zitrone genommen und so eine homöopatische Variante mit entzündungshemmender Komponente geschaffen. Tipp: Etwas mehr Wasser als im Rezept angegeben, kann nicht schaden. Das Zeugs dickt später noch ziemlich nach.

Lebensmittel

Schwierig ist nach wie vor Reis. Die in Pappe verpackten Barilla-Nudeln gab es auch nicht mehr so häufig im Angebot, so dass wir doch das ein oder andere Mal auf Nudeln in Plastik ausweichen mussten. Ich nehme alternativ gerne Kartoffeln, die man hier im Gemüsehof und auch im Edeka unverpackt bekommt. Für Obst und Gemüse nutzen wir mitgebrachte Taschen, herumstehende Kartons oder fragen (zumindest im Gemüsehof) nach Papiertüten. Viele Dinge kann man auch einfach lose nehmen und das Etikett draufkleben.

Wurst und Käse sind nach wie vor schwierig. Nachfragen ergab, dass alleine für das Abwiegen Plastik genutzt wird, wir also nichtmal Plastik einsparen würden, wenn wir uns die Sachen in Dosen verpacken ließen. Wir kaufen Käse häufig im Angebot am großen Block, schneiden selbst und frieren einen Teil in Backpapier verpackt ein. Bei Wurst kaufen wir ebenfalls größere Mengen im Angebot und frieren sie ein, dadurch ist es immer noch weniger Plastik als bei der abgepackten Ware. Vorsatz ist hier, wieder mehr auf selbstgemachte Aufstriche zu setzen oder auf Kochwurst aus dem Glas.

Es ist nicht perfekt, ganz sicher nicht. Aber es wird und es passt sich an. Wir sind nicht mehr so gedankenlos wie früher, gestehen uns aber doch auch den ein oder anderen „wirren Moment“ zu. Wir sind eben auch nur Menschen.

In diesem Sinne: Plastikarm – auf ein Neues!

©Andrea Wlazik

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