Ende Gelände

Es gibt Dinge, die sind an Absurdität nicht zu überbieten. Dazu zählen nicht nur auf Papier gebannte Hirngespinste wie Douglas Adams „Restaurant am Ende des Universums“, sondern auch Alltägliches und Reales wie z.B. Billigprodukte, die schon nach kürzester Zeit teurer sind als Qualitätsware, weil sie entweder neu gekauft oder für viel Geld repariert werden müssen. Auch in der Politik finden wir Absurditäten. Denken wir nur an Umwelthippie Joschka Fischer von den Grünen, der am Ende seiner politischen Karriere zum Berater von RWE Power wurde. Womit wir auch gleich beim Thema wären.

Urlaubsparadies

Ende Gelände

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„Was ist denn das für eine kranke Scheiße!?“ schießt es mir durch den Kopf. Wie ich am heftigen Nicken meines Jüngsten erkennen kann, muss mir dieser grammatikalisch, wortbildnerisch und pädagogisch unglückliche Satz auch durch die Lippen gerutscht sein.

Treffender kann ich nicht ausdrücken, was da vor mir liegt: ein wahres Urlaubsparadies.

Ich blicke den Steg entlang, der durch eine wildbewachsene Flachdünenlandschaft – liebevoll bestückt mit einigen wenigen Strandkörben und einem Kinderspielplatz – zur „Promenade“ führt, einer hölzernen Terrasse, auf der rote Sonnenstühle unter ebenso roten Sonnenschirmen zum Verweilen einladen sollen.

Ende Gelände

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Während die urlaubsähnliche Aussicht mich schier überwältigt, formt sich ein stummer Schrei in meinem Bauch und presst mit aller Wucht gegen mein Zwerchfell. Ich möchte schreien: „Hurraaaah!“ Aber ich kann nicht. Starr vor Entsetzen hetzen meine Blicke zwischen den vielen Touristen, den unzähligen (und hier ziemlich aggressiven) Wespen, der Sonnenstuhl-Idylle und den Strandkörben hin und her, bis sie endlich erfassen, wofür wir hergekommen sind: Das Loch!

Stummer Schrei

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Hurraaah! Ein Baggerloch! Und nächstes Jahr fahren wir alle an die Antarktis und schauen zu, wie die Eisbären absaufen!“ Die Stimme, die diese Worte schreit, dröhnt in meinem Kopf. Sie gehört zu meiner Wut, zu meinem Zorn, zu meiner Ohnmacht. Ich schaue mich um. Niemand scheint sie gehört zu haben, außer mir. Alle sind beschäftigt damit, sich vor dem ca. 400 Meter tiefen Loch, dem Tagebau Hambach, fotografieren zu lassen und die am Gelände angebrachten Infotafeln anzuschauen.

Badesee

Die Ähnlichkeit mit einem Urlaubsparadies ist nicht zufällig. Laut Homepage von Terra Nova, der Aussichtsplattform auf der wir uns gerade befinden, soll hier die Zukunft simuliert werden, in der genau hier ein „Badesee“ geschaffen werden soll. Doppelt absurd. Absurd, weil Terra Nova soviel bedeutet wie „Neue Erde“. Dabei ist die Erde hier nicht neu, sie wurde geraubt aus bis zu 400 Meter Tiefe. Ungeachtet aller Lebewesen, die sich in dieser Riesenmenge Erde befanden. Ungeachtet aller Bäume, aller Pflanzen, aller Tiere, die auf ihr lebten. Ihnen allen nahm man bereits den Lebensraum. Mal ganz abgesehen davon, dass wir keine neue Erde kriegen werden, wenn wir die andere zugrunde gerichtet haben.

Absurd außerdem, weil wir irgendwann in der Zukunft in einem Teil dieses Riesenloch (die genehmigte Abbaufläche beträgt 8.500 Hektar, 4.000 Hektar davon sollen dem „Restsee“ gewidmet werden), in dem über jahrzehnte bis dahin täglich Gifte und Schadstoffe freigesetzt wurden, baden sollen. In einem „See“, der aufgrund der freigesetzten Giftstoffe jederzeit zu versauern droht.

Naja, irgendwie muss man ja an seine tägliche Dosis radioaktiver Stoffe kommen. Und wenn der Tagebau mal nicht mehr ist, warum nicht auf ein „medizinisches Vollbad“ ausweichen? Vielleicht muss man sich dann irgendwann zum Röntgen nichtmal mehr ein Kontrastmittel spritzen lassen…

Wen kümmert angesichts der sich weltweit immer weiter zuspitzenden Wasserknappheit schon, dass solche Seen teilweise jahrzehntelang künstlich mit mehreren Millionen Litern Wasser befüllt werden müssen? Dann müssen die Rheinfähren eben demnächst auf Luftpolster umsatteln, für mehr wird das Wasser im Rhein dann nicht mehr reichen…

Während ich mich noch in dem Zynismus suhle, den ich als Ventil für den unterdrückten Schrei nutze, schießt mir ein beängstigender Gedanke durch den Kopf. „Himmel, wo stehe ich denn hier mit meinem Kind? Direkt an der Quelle von Radioaktivität und Feinstaub?“ Panisch taste ich nach meinem Asthma-Pümpchen. Gott-sei-Dank habe ich es eingepackt. Beunruhigt frage mich: „Ist es gut, dass wir hier stehen? Was atmen wir hier ein, direkt am Loch?“

Traurig

Auf der Heimfahrt verfahren wir uns mit den Rädern gleich mehrfach und landen – vermutlich Dank völlig ausgebleichter Warnschilder – in oder zumindest direkt am Rande eines Rodungsbereichs. Ein kleiner Abstecher, der den Raubbau-Touristen von vorhin sicher Vergnügen gemacht hätte. Mir treibt er die Galle in den Hals und den Adrenalinspiegel in die Höhe.

Ende Gelände

Nein, es ist nicht gut, dazustehen in einer Art Schockstarre und zu schweigen. Darum gehen wir mit auf die Straße, mit an die Grube oder direkt in einen weiteren großen Tagebau von RWE Power, Garzweiler II – je nach Mut und Befindlichkeiten. Wir werden uns den Baggern in den Weg stellen und ein deutliches Zeichen setzen. Wir sind viele und wir werden immer mehr!

Spiel mit der Angst

Auf Facebook tun es die sogenannten „Trolle“, in den Medien kohlefreundliche Journalisten oder Politiker: Angst schüren! Da liest man unter anderem: „Euch wird das Lachen schon noch vergehen.“, „Ich fordere die Höchststrafe für ein angekündigtes Verbrechen.“, „Ihr macht Euch strafbar!“ „Was, wenn jemand vom Bagger stürzt!“ „…weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass das Übertreten der Absperrungen eine strafbare Handlung darstellt.“

Sinn der Sache ist klar: Es soll möglichst vielen Menschen Angst gemacht werden, damit möglichst wenige Menschen sich an Ende Gelände beteiligen.

Legalität/Legitimität

Die „Aktion Ende Gelände“ wird von den Organisatoren bezeichnet als „Aktion zivilen Ungehorsams“. Natürlich wissen wir, dass das unbefugte Betreten von als Privatbesitz gekennzeichneten Grundstücken strafbar sein kann, vor allem, wenn mit Schildern der Zutritt ausdrücklich verboten wird. Das haben wir als Kinder schon gesagt bekommen, meist gehasst, wenn wir nicht auf dem grünen Rasen Fußballspielen oder toben durften und wir fühlten uns ohnmächtig, weil wir nicht einmal sehen konnten, wer uns da verbietet, wonach wir uns sehnen.

Ob Ihr Euch danach sehnt, gemeinsam mit vielen hunderten Menschen die RWE Braunkohlemonster für eine Weile zu blockieren und so ein deutliches Zeichen zu setzen für das, wofür unsere Politiker einstehen sollten, es aber nicht tun – dann solltet Ihr Euch entscheiden, in welcher Form Ihr Euch beteiligen möchtet.

Niemand ist allein

Habt Ihr Euch entschieden, Euch an der Aktion zivilen Ungehorsams zu beteiligen, keine Bange: Ihr seid nicht allein! Es gibt auf der Homepage jede erdenkliche Aufklärung, auch über eventuelle rechtliche Folgen. Es gibt Anleitung und Unterstützung für einen friedlichen Widerstand gegen die Allmacht der Braunkohle, die nicht nur im rheinischen Tagebau herrscht. Es gibt Hinweise auf gesundheitliche Voraussetzungen und dazu, wie Ihr zur Sicherheit der Aktion beitragen könnt. Denn es soll niemand geschädigt oder verletzt werden.

Auch nach der Aktion werdet Ihr unterstützt, mit Gesprächen für Menschen, denen die Aktion möglicherweise nahe ging (für viele ist es z.B. nicht leicht, sich Autoritäten entgegen zu stellen), mit Hilfe bei Repression durch Polizei und/oder Sicherheitskräfte usw.

Aktionsmöglichkeiten für alle

Vei Ende Gelände gibt es für ALLE Menschen die Möglichkeit, mitzumachen, sofern sie körperlich dazu in der Lage sind. Dies gilt auch für Menschen, die sich NICHT an einer strafbaren Handlung beteiligen möchten.

So findet zum Beispiel am Samstag, den 15. August 2015 um 14 Uhr am Tagebau Garzweiler parallel zur Aktion eine von Robin Wood e.V. organisierte (und völlig legal angemeldete) Demonstration statt.

Außerdem könnt Ihr auf den Zufahrtsstraßen und vor den Werkstoren mit Mahnwachen und anderen Protestformen gegen Braunkohle demonstrieren und/oder Eure Solidarität mit Ende Gelände bekunden.

Wer noch nicht sicher ist, in welcher Form er/sie sich beteiligen möchte, kommt am Besten schon am Freitag, 14.08.2015 um 17 Uhr zum großen Plenum im Klimacamp in Erkelenz-Lützerath. Dort wird es weitere Informationen zum Ablauf der Aktion geben.

Auch wer aus irgendwelchen Gründen helfen will, aber selbst nicht kommen kann, kann einiges zum Gelingen der Aktion beitragen:

  • Teilt diesen Artikel oder auch direkt die Infos von Ende Gelände, kommentiert, liked. Facebook macht Informationen nach „Relevanz“ für die User verfügbar d.h. je mehr Reaktionen auf einen Beitrag kommen, desto besser verteilt er sich auf Facebook.
  • Kennt Ihr Menschen, von denen Ihr Euch vorstellen könntet, dass sie gerne an Ende Gelände teilnehmen möchten? Informiert sie umgehend, am Besten persönlich.
  • Habt Ihr Kontakte zur Presse, seid Ihr möglicherweise selbst von der Presse? Achtet und drängt darauf, dass nach der Aktion auch über diese berichtet wird. Die Medien (vor allem die in den Braunkohleabbaugebieten) kehren derlei Aktionen gerne unter den Teppich.

Vielleicht sehen wir uns bei Ende Gelände. Vielleicht im Tagebau, vielleicht auf der Straße, das wird noch nicht verraten. Aber eins sei nochmal betont: Wir sind viele und wir werden immer mehr!

Andrea Wlazik