Zerstörung des Hambacher Forst für Kohle

Einst war er stolze 8.500 Hektar groß, der über 12.000 Jahre alte Hambacher Forst, einer der urwüchsigsten Wälder Europas. Eigentlich hätte er gemäß FFH-Richtline an die Europäische Kommission gemeldet und unter Schutz gestellt werden müssen. Diese Meldung unterblieb – angeblich entspricht die Abholzung des riesigen Areals voller seltener Pflanzen- und Tierarten dem allgemeinen öffentlichen Interesse…

Die FFH-Richtlinie

1992 beschloss die EU den Aufbau von „Natura 2000“, einem Schutzgebietsnetz zum Erhalt wildlebender Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume. Dieses Netz sollte Schutzgebiete sowohl nach der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (einer Naturschutzrichtlinie der EU von 1992) als auch nach der Vogelschutzrichtlinie aus dem Jahr 1979 umfassen.

Als „natürliche Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“ gelten nach diesen Richtlinien auch Stieleichen-Hainbuchenwälder. Laut BUND ist der Hambacher Forst die mit Abstand größte Waldfläche dieser Art in Deutschland und zusammen mit der benachbarten Steinheide das zweitgrößte Vorkommen dieses Typs in Europa.

Neben Stieleichen und Hainbuchen finden sich im Wald u.a. seltene natürliche Vorkommen der Winterlinde, die Nahrungsquelle für Falter, Honigbienen und andere Insekten ist. Zudem gibt es große Mengen Maiglöckchen im Forst. Diese – übrigens unter Naturschutz stehenden – zarten Blumen mit den filigranen weißen Blüten sind ebenfalls beliebte Nahrungsquelle für Bienen und für Vögel.

Geschützte Tierarten

Neben vielen Insektenarten, wie z.B. Wildbienen und extrem seltenen Käfern, die vornehmlich in Altwäldern vertreten sind, beherbergt der Hambacher Forst zahlreiche Amphibien-, Vogel- und weitere Tierarten. Der BUND geht von 142 geschützten Arten im Hambacher Forst aus, alleine 12 davon gehören zu den Fledermäusen. Viele dieser Arten wären eigentlich auch europarechtlich geschützt, wie z.B. Bechsteinfledermaus, Großes Mausohr, Haselmaus, Mittelspecht, Waldkauz, Waldohreule, Kreuzkröte und Springfrosch.

Die Motivation

Gerodet wird für Braunkohle, die schmutzigste und ineffektivste Energieart überhaupt. Fünf deutsche Kohle-Kraftwerke stehen auf der Liste der zehn größten CO2-Schleudern unter den europäischen Kraftwerken; drei davon werden lediglich von einem polnischen Kraftwerk übertrumpft. Kohle-Kraftwerke sind verantwortlich für 1/3 der CO2-Emmissionen Deutschlands. Einer Studie der Euroäischen Umweltagentur zufolge zählen deutsche Kohle-Kraftwerke außerdem zu den schlimmsten Luftverschmutzern in Europa.

Für diese Dreckschleudern wurden bereits über 7.000 Hektar des wundervollen Altwaldes „Hambacher Forst“ ungeachtet der darin beheimateten Pflanzen- und Tierwelt vernichtet.

Das Allgemeinwohl

Im Namen des Allgemeinwohls werden Menschen ihrer Existenzen und ihres Eigentums beraubt, über Jahrtausende gewachsene Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht, gesunde und natürlich gewachsene Flora und Fauna zerstört. Was aber ist dieses ominöse „Allgemeinwohl“ überhaupt?

Erwähnung findet es in unserem Grundgesetz, Artikel 14, Absatz 3. Klar definiert ist das Allgemeinwohl dort aber nicht.

Das Bundesverfassungsgericht ergänzt mit einem Beschluss aus dem Jahr 2009:

„Das private Eigentum kann nach Art. 14 Abs. 3 GG nur zum Wohle der Allgemeinheit enteignet werden. Der Zugriff auf das Eigentum ist nur zulässig, wenn er einem besonderen, im öffentlichen Nutzen liegenden Zweck dient. Dabei reicht nicht jedes beliebige öffentliche Interesse aus. Die freiheitssichernde Funktion des Eigentums verlangt ein besonders schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse; nur um dessen Erfüllung willen dürfen private Rechte entzogen werden. Es kommt nicht darauf an, ob ein Vorhaben in einem allgemeinen Sinne dem Wohl der Allgemeinheit dient, sondern ob die konkrete Enteignung hierfür notwendig ist…“

Wagen wir einen Versuch der Definition dieses „schwerwiegenden, dringenden öffentlichen Interesses“ und schauen, in welchen Punkten dieses begründet sein könnte:

Die Menschen

In einem Dorf gibt es viele Dinge, die sich über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende geformt haben. Einrichtungen haben sich etabliert, eine Infrastruktur ist gewachsen, möglicherweise bieten Geschäfte und/oder Praxen eine Grundversorgung und Unternehmen Dienstleistungen. Es gibt Kirchen, Vereine und sonstige Begegnungsstätten.

Die Bürger verbindet mehr mit dem Ort als nackte Fakten, nämlich Erinnerungen und Emotionen. Da ist die Straßenecke, an der man als Kind den Fahrradunfall hatte, die Grundschule, auf deren Schulhof man Fußball oder Seilchenspringen gespielt hat, der kleine Kiosk, in dem man noch Süßigkeiten für einen Pfennig bekam, die Bank im Park, auf der man den ersten verstohlenen Kuss erhascht und viele lustige Stunden mit Freunden erlebt hat, das Geschäft, das schon in der dritten Generation als Familienbetrieb geführt wurde und in dem jetzt die freundliche Karla bedient, die man schon seit Sandkastenzeiten kennt. Später dann hat man vielleicht in der Dorfkirche geheiratet, bei dem Pfarrer, der längst auf dem Friedhof am Ortsende begraben ist. In der gleichen Kirche wurden die Kinder getauft, ein wundervolles Fest in der Gaststätte mit dem familiären Flair und dem schönen Garten. Viele Bewohner haben ihr ganzes Leben in diesem Ort verbracht, andere sind hinzugezogen, der Liebe oder des Berufs wegen oder einfach weil ihnen der Ort so sehr gefiel.

Jahrelang lebten sie in einer Mietswohnung, kauften kleine charmante Häuser oder reizende Altbauten, die sie in Handarbeit restaurierten. Oder sie bauten selbst oder ließen bauen, nach ihrem eigenen Geschmack. Sie pflegten ihre Gärten, ernteten die Früchte jahrzehntelang gehegter Bäume, genossen die Sonne und träumten von ihrem weiteren Leben in diesem Ort voller Geschichte, voller Heimatgefühl und Geborgenheit.

Sie sehen schon, hier bei diesen Menschen das öffentliche Interesse zu suchen, das dringend genug sein könnte, um eine Enteignung und eine Umsiedlung von einem über Jahrhunderte gewachsenen Ort in ein Retortendorf rechtfertigen zu können, ist vergebliche Liebesmüh.

Der Strom

Ob die Stromgewinnung aus Braunkohle in Zeiten von Solar-, Wind- und Wasserstrom tatsächlich ein schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse begründet, darf bezweifelt werden – vor allem, wenn man weiß, dass nicht nur jede Menge Strom ins Ausland exportiert wird (34,1 Terrawattstunden = 5,6% des in Deutschland produzierten Stroms) sondern auch die Braunkohle selbst. Nun soll sogar die Möglichkeit bestehen, dass Schwede Vattenfall seine Braunkohlesparte in der Lausitz an die tschechische Gelegenheits-Exporteurin Mibrag verhökert. Tschechien will nämlich aus dem Kohle-Abbau aussteigen. Die Kohle, die dort bereits jetzt für die Stromerzeugung in Kohle-Kraftwerken fehlt, könnte dann „praktischerweise“ aus der deutschen Lausitz kommen. Aber zurück zum Thema…

Kohle-Kraftwerke sind extrem ineffektiv: Von der durch die Verbrennung der Kohle gewonnenen Energie können gerade mal 40-45% in Strom umgewandelt werden. Die restlichen 55-60% gehen über den Schornstein flöten. Außerdem sind selbst moderne Kohle-Kraftwerke zu unflexibel und somit nicht dafür geeignet, kurzfristig als „Springer“ zu dienen, in Zeiten, in denen die regenerativen Energien nicht ausreichend zur Verfügung stehen.

Kohlekraft ist die CO2-intensivste Form der Stromerzeugung. Bis zu 33,3 Millionen Tonnen stößt ein deutsches Kohle-Kraftwerk pro Jahr aus.

Und nicht zu vergessen, Strom aus Kohlekraft ist der schmutzigste Strom überhaupt!

Die Gesundheit

Laut einer von Greenpeace in Auftrag gegebenen Studie zählen Kohle-Kraftwerke sowohl in Deutschland als auch europaweit zu den schlimmsten Verursachern gesundheitsgefährdender Luftverschmutzung. Sie belasten die Luft mit Schwefeldioxid, Stickoxiden, Ruß und Feinstaub sowie giftigen Metallen (Quecksilber, Blei, Arsen, Cadmium). Die gesundheitlichen Folgen sind ein erhöhtes Krebsrisiko (vor allem Lungenkrebs), vermehrtes Auftreten von asthmatischen Anfällen, allgemeine Atemwegsbeschwerden, Hirnschäden, Entwicklungsstörungen beim Embryo und bei Kindern, Herzerkrankungen bis hin zum Herzinfarkt – um nur einige aufzuzählen.

„Luftverschmutzung stellt eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit in Deutschland und Europa dar. Aufgrund von luftverschmutzungsbedingten Todesfällen haben die Bürger Europas schätzungsweise durchschnittlich eine fast neun Monate kürzere Lebenserwartung. Die Europäische Umweltagentur schätzt, dass mehr als 90 Prozent der städtischen EU-Bevölkerung Feinstaub- (PM 2.5) und Ozonwerten ausgesetzt sind, die über den Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation WHO liegen. Fast ein Drittel ist einer höheren Feinstaubbelastung ausgesetzt, als in den EU-eigenen Vorgaben vorgesehen. Und das bei EU-Vorgaben, welche 2,5-mal höhere Werte zulassen als die WHO empfiehlt.“
Quelle: Europäische Umweltagentur

Ähnliche gesundheitliche Auswirkungen hat bereits der Abbau der Kohle, denn dort werden neben Ruß, Fein- und Grobstaub dieselben giftigen Metalle wie bei der Verbrennung freigesetzt, neben den radioaktiven Stoffen Uran, Thorium und Kalium-40.

Zusätzlich zur Luftverschmutzung sind dem Tagebau benachbarte Ortschaften einer hohen Lärmbelastung ausgesetzt, die sowohl psychische als auch körperliche Beschwerden verursachen kann.

Sie sehen schon, gesundheitlicher Natur ist das schwerwiegende, dringende öffentliche Interesse ganz sicher ebenfalls nicht.

Die Kohle

Ja, vor allem geht es um Kohle – die von RWE, seinen Obergurus und Aktionären. Ob die aber nun tatsächlich als schwerwiegendes, dringendes öffentliches Interesse gewertet werden kann, sei mal dahingestellt.

Kohle-Befürworter kommen an diesem Punkt gerne mit dem Argument, dass es auch um die Kohle der Menschen geht, die für RWE (hier nur wegen des Bezugs zum Hambacher Forst im Speziellen genannt) arbeiten. Dabei ignorieren sie völlig, dass die erneuerbaren Energien auf der anderen Seite auch Arbeitsplätze schaffen und bereits schafften. Alleine im Jahr 2013 waren im Bereich der erneuerbaren Energien 370.000 Menschen beschäftigt.

Abgesehen davon wird gerne übersehen, dass Kohle nicht unendlich ist, sondern die Vorkommen in absehbarer Zukunft erschöpft sein werden, womit die Braunkohle immer weniger und dann gar nicht mehr als „Arbeitgeber“ zur Verfügung steht.

Irgendwann…

Immer wieder werden vollendete Tatsachen geschaffen, Menschen enteignet, Dörfer geräumt, Wälder gerodet. Wenn wir in ein paar Jahren endlich den längst überfälligen Startschuss zum endgültigen Ausstieg aus der Braunkohle hören, steht im Hambacher Forst womöglich kein Baum mehr. Vielleicht haben kleinere Bagger dann schon angefangen mit den Vorarbeiten, vielleicht klafft auch schon dort, wo einst sattes Grün prangte, ein unschönes, riesiges braunes Loch. Dann wird kein RWE mehr einen „wundervollen Badesee“ finanzieren, dann sind die goldenen Zeiten vorbei. Versprechen werden Versprechen bleiben, der Hambacher Forst aber, mit seinen vielfältigen und geschützten Arten, ist und bleibt dann für immer verloren.

© Andrea Wlazik

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