Schnauze voll

„Dialog, Deeskalation, Schlichtung, friedliche Lösungen, all diese Begriffe erscheinen als Makulatur, wenn ich die aktuelle Kampagne von Teilen von ver.di und der IGBCE sehe. Ich mache mir Sorgen.“ Diese Zeilen von Michael Zobel, dem Waldpädagogen, der die monatlichen Führungen im bedrohten Hambacher Forst abhält, erreichten uns heute…

schnauze vollSorgen macht dem Waldpädagogen eine Kampagne mit dem Leitspruch „Schnauze voll von Gewalt durch Ökoaktivisten“, die (zunächst unter dem Logo von ver.di und der IG BCE) u.a. Umweltaktivisten im Rundumschlag kriminalisiert.

schnauze vollNeben Textbeiträgen von RWE-Angestellten im selben Tenor, fand sich auf der Facebookseite ein Angebot für ein schwarzes, mit rot bedrucktes T-Shirt, auf dem eine blutige Faust das Wort „Klimacamp“ zerquetscht. In Kombination mit einem Aufruf der Seite „Kolleginnen und Kollegen, Freunde, denkt dran, es wird Zeit im Rheinischen Revier mit der Kampagne SCHNAUZE VOLL Flagge zu zeigen. Also haltet euch bereit für den 26. August 2016. Weitere Informationen folgen zeitnah hier und in den Betrieben. Glück Auf!“ kann im Zusammenhang mit dem Klimacamp im Rheinland von 19.-29. August 2016 nur von einem Aufruf zu einer wie auch immer gearteten, seitens des Betreibers geplanten Eskalation ausgegangen werden.

Klimacamp – Eskalation befürchtet

„Jetzt scheinen den Befürwortern der Braunkohle die Argumente komplett auszugehen…“ geht es in der Mail von Michael Zobel weiter.

Er fährt fort: „Nein, es geht nicht mehr um sachliche Diskussion über Klimawandel, Energiewende, Aufspaltung von RWE. Es geht auch nicht um den wirtschaftlichen Kollaps des Konzerns, um die geforderten Einkommenskürzungen von fast 25%, um den Abbau von
noch mehr Arbeitsplätzen. Noch viel weniger geht es um friedliche Lösungen von
Konflikten, um eine Auseinandersetzung mit dem Friedensplan für den Tagebau Hambach,
unterzeichnet von einem breiten Bündnis aus Bürgerinitiativen, Politikern, Einzelpersonen und nicht zuletzt von den christlichen Kirchen der Region.

Stattdessen wird nun versucht, von all dem abzulenken. Mit einer durchsichtigen Kampagne. Unter den Logos von ver.di und IGBCE heißt es nun „Vertrauensleute – Schnauze voll! – von der Gewalt durch Ökoaktivisten“.

Gleichzeitig wird ein T-Shirt vertrieben, auf dem ein Schriftzug, offensichtlich „Klimacamp“, von einer Faust bluttriefend zermalmt wird. Welch ein übles Motiv! Sicherlich nicht zur Deeskalation geeignet. Vielleicht aber auch ein Fingerzeig an Polizei und Staatsanwaltschaft?

Und dann wird noch dazu aufgerufen, sich für den 26. August bereit zu halten. Wozu auch immer, „Informationen in den Betrieben“ folgen noch… Ausgerechnet während des Klimacamps Rheinland 2016… das lässt einiges erwarten, vor allem wenn man noch die Bilder im Kopf hat, als zu Pfingsten in der Lausitz eine unselige Mischung aus Bergarbeitern, die verständlicherweise Angst um ihre Arbeitsplätze haben, aus Hooligans und Neonazis mit IGBCE-Fahnen, Baseballschlägern und Böllern eine Gleisblockade am Kraftwerk Schwarze Pumpe angriffen. Das kann doch nicht im Sinne der Gewerkschaften sein? Gleichzeitig gab es auch dort eine sehr ähnliche Angst- Kampagne „Gewalt stoppen!“, überall hingen die dazu gehörenden Plakate.

Ich stelle mir ein paar Fragen:

  • Stehen eigentlich die Gewerkschaften IGBCE und ver.di hinter der Kampagne „Schnauze voll!“?
  • Gibt es eigentlich auf Gewerkschaftsseite ein ernsthaftes Bemühen um Deeskalation, eine Bereitschaft zu Gesprächen?
  • Wo ist der Einsatz der Gewerkschaften für einen gerechten Strukturwandel anstatt gegen die Klimaaktivisten?
  • Wo ist der Einsatz der Gewerkschaften gegen Hass-Postings im Internet auf Seiten wie „Für Braukohle und Arbeit – gegen Ökoextremismus“ oder auf der facebook-Seite „RWE-Mitarbeiter für faire Berichterstattung“? Dort wird sehr oft offen zu Gewalt gegen den Braunkohlewiderstand, gegen bestimmte Bürgerinitiativen oder sogar gegen einzelne Menschen aufgerufen.
  • Wo ist ein „Schnauze voll!“ – Aufruf gegen die immer wieder wiederholten Märchen von Sprengsätzen, Präzisionszwillen, lebensgefährlichen Fallen usw.? Nicht einmal eine große Razzia mit mehreren Hundertschaften Polizei im April in Düren und im Wiesencamp hat solche Dinge ans Licht gebracht. Trotzdem werden die Geschichten immer wieder gegen besseres Wissen wiederholt, nach dem Motto „es wird schon etwas hängenbleiben“.
  • Wo sind denn die Berichte darüber, dass gerade aktuell zwei Prozesse gegen Klimaaktivisten mit Freisprüchen zu Ende gegangen sind, und dass in beiden Verhandlungen immense Gewalt-Anschuldigungs-Konstruktionen wie Kartenhäuser in sich zusammengefallen sind? Von den haarsträubenden Aussagen der Sicherheitsdienste ist in einem Prozess vor dem Amtsgericht Aachen nichts mehr übrig geblieben.

[Ein] angesägter Strommast, Kabelbrand, ein angefahrener Waldschützer, einige Vorfälle aus den vergangenen Monaten. Wem nützt die Eskalation? Es ist begrüßenswert, dass Polizei und Staatsanwaltschaft jetzt tatsächlich in ALLE Richtungen ermitteln. Die alleinige „Schuld“ für diese Eskalation liegt sicherlich nicht einseitig auf Seiten der „Ökoextremisten“ oder wahlweise „-terroristen“.

„Und wenn wirklich alles im Rheinischen Revier auf Seiten von RWE nach Recht und
Gesetz zugehen würde, dann wäre der Hambacher Forst schon längst als Natura2000
Gebiet ausgewiesen und dürfte nicht komplett vernichtet werden.“ (M. Zobel)

Wer Aktivisten als Terroristen beschimpft, nimmt es meistens mit der Wahrheit und den realen Gegebenheiten nicht so genau. Deswegen braucht Mensch ja den Begriff, um sich darüber keine Gedanken machen zu müssen, und alles in ein schwarz-weisses Feindbild einpflegen zu können.

Bei allem Verständnis für die Belange von RWE und Bewohner der Region. Hier ist mit Sicherheit ein gesundes Maß an Umsicht verloren gegangen. Eine öffentliche Stellungnahme von ver.di wäre angebracht…

Auch unter den Klimaaktivisten gibt es viele VERDI Mitglieder. Die Kampagne widerspricht auch der Position von VERDI.

Und hier noch ein weiteres Statement zur aktuellen Situation:

„Aufgrund seiner Geschäftstrategie steht der Konzern kurz vor der Insolvenz, die einigen wenigen nützen wird, für die MitarbeiterInnen und kommunale Finanzen in NRW jedoch desaströs ist. Und erzählen sie mir nicht, dass die Probleme des fossilen Geschäftsmodells erst seit gestern bekannt wären. Trotz Energiewende und Klimawandel hat das Management weiter auf das fossile Geschäftsmodell gesetzt und einen grossen Teil der Geschäftsprobleme mit ihrer Strategie selbst verursacht. Und der Ausstieg aus der Braunkohle hat schon längst angefangen.

Eine politische Zuspitzung des Konflikts ist auch im Sinne der Beschäftigten, weil Eure Interessen ansonsten hintenrunterfallen, wie sonst auch in ähnlichen gesellschaftlichen Umbruchprozessen. Ohne Zuspitzung des Konflikts muss RWE auch keine Zugeständnisse an die Beschäftigten machen sondern wird in einem chaotischen Ausstiegsprozess aus der Braunkohle, indem sie so wenig wie möglich von ihren Gewinnen abgeben, die Beschäftigten und die Region ins Unglück reissen.

Wir bräuchten längst einen Ausstiegsplan aus der Braunkohle. Mit Sozialplan für die Beschäftigten. Aber genau hier schläft der IG BCE. Das ist bedauerlich.

Wenn man sich die Zahlen von RWE ansieht kann man nicht von drohender Insolvenz
schreiben sondern von Insolvenzverschleppung.

Und wenn die IG BCE meint mit klimaskeptischen Thesen wie den ihren eine extremistische Position in der Debatte einnehmen zu müssen, wird auch dies einem gerechten Strukturwandel im Sinne der Betroffenen und der Beschäftigten nicht förderlich sein, weil sie sich dadurch die Umweltverbände und Klimaaktivisten als Feinde aussucht anstatt die unumkehrbare und unausweichliche Realität der Energiewende und des Kilmawandels anzuerkennen und sich damit im Sinne der Beschäftigten auseinanderzusetzen.“

ver.di distanziert sich

ver.di nahm auf eine Rückfrage wie folgt Stellung:

„…nach Rücksprache mit meinen Kolleg/innen des ver.di-Fachbereichs Ver- und Entsorgung kann ich Ihnen Folgendes miteilen. Diese Initiative wird von einigen Vertrauensleuten der IG BCE und ver.di getragen. Es handelt sich hierbei aber NICHT um eine offizielle Kampagne oder Position der Vereinte Dienstleistunggewerkschaft ver.di. Aus diesem Grund haben wir veranlasst, dass unser ver.di-Logo von der besagten facebook-Seite entfernt wurde…“ [Anmerkung der Redaktion: Rechtschreibfehler korrigiert]

Tatsächlich wurde das ver.di Logo entfernt. Der Betreiber der Facebookseite weigert sich aber bislang beharrlich, das Impressum zu ändern, in dem nach wie vor steht „Vertrauensleute IG BCE und Ver.di Rheinisches Revier“.

Auch das angebotene T-Shirt ist nirgends mehr zu finden. Sehr bedauerlich, wo wir uns doch beinahe dazu entschieden hatten, Anzeige wegen Aufrufs zur Gewalt zu erstatten. Es ist doch beinahe peinlich, wenn jene, die stets betonen, Gewalt zu verurteilen, sich in einem solchen Licht darstellen. Und es ist ein Armutszeugnis für die IG BCE, dass sie nicht ebenso klar Stellung bezieht wie es die ver.di bereits getan hat.

Andrea Wlazik

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