01IMG_1398Am Morgen des gestrigen 21. Januar 2016 führte RWE sein begonnenes Werk, die Zerstörung des Hambacher Forstes, fort. Ungeachtet einer bereits auf politischer Ebene festgestellten drohenden Eskalation im Fall weiterer Rodungen und ungeachtet des versprochenen deeskalierenden Vorgehens, fielen gestern wieder Bäume.

Was dann folgte, schockiert, denn es wirkt wie der Stoff zu einem Krimi – nur dass hier kein engagierter Kommissar ermittelt und den Täter zur Strecke bringt.

Pressemitteilung aus dem Hambacher Forst

+++weiteres Waldstück gerodet!+++Eskalation zwischen Sicherheitsdienst und Besetzer_innen+++Aktivist_innen angefahren, verprügelt und verschleppt+++

In den frühen Morgenstunden haben Arbeiter_innen des Energiekonzerns RWE im Schutz privater, lohngedumpter Sicherheitskräfte ein weiteres Waldstück des besetzten Hambacher Forstes gerodet. Gegen 14:00 Uhr kam es zu einer Auseinandersetzung mit Aktivist_innen des Kohlewiderstandes. Sowohl von diesen, als auch von Seiten der Securities flogen Steine.
Dies eskalierte noch zusätzlich, als ein Sicherheitsdienstleister drei Besetzer_innen mit seinem Jeep überfuhr. Ein Schwerverletzter war nicht mehr fähig, sich selbst in Sicherheit zu bringen und wurde daraufhin von den Securities weiterhin attackiert, auf die Ladefläche des Fahrzeuges gepackt und verschleppt. Später wurde er der Polizei übergeben. Im Krankenhaus weigerte sich der Arzt, eine Schweigepflichtserklärung zu unterschreiben und somit zu anonym zu behandeln. Ohne medizinische Behandlung wurde der Verletzte wieder auf die Polizeidienststelle gebracht. Er leidet unter starken Rückenschmerzen und befindet sich zur Zeit immer noch in Gewahrsam.

Eine weitere, bei einer willkürlichen Autokontrolle inhaftierte Person wurde inzwischen freigelassen.

Seit vielen Jahren gibt es im rheinischen Braunkohlerevier zunehmend aktiven Widerstand gegen den massiven Abbau von Kohle und deren Verstromung. Auch die Repressionen gegen die Kohlegegner_innen hat immer stärker zugenommen. So wurden seit Herbst 2014 insgesamt acht Personen inhaftiert.

„Für die nächste Woche, die von den Besetzer_innen als Aktionswoche angekündigt wurde, zeichnet sich eine immer stärkere Zuspitzung des Konfliktes um den Kohleabbau im Rheinland ab“, sagte ein fassungsloser Aktivist. „Viele werden sich von diesen Angriffen aber weiterhin nicht einschüchtern lassen. Es wird weitergehen!“

Der Vorfall aus meiner Sicht

Auf dem Weg zu einem wichtigen Termin erreicht mich der Anruf eines anderen Unterstützers: „Ein Security-Mensch hat mehrere Menschen von der Wiese mit dem Auto angefahren. Einer von ihnen ist verletzt. Wie schwer wissen wir nicht.“ Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Vergeblich warte ich darauf, dass mich Wut oder Zorn überkommen, dass mir Adrenalin in den Kopf schießt. Nichts passiert. Ich versuche es mit einem lauten „Diese kranken Schweine!“ Es funktioniert nicht. Irgendwie stehe ich neben mir. Mein Hirn arbeitet rein analytisch. Vielleicht habe ich zu wenig Informationen. Weiteres Nachfragen ergibt, dass die verletzte Person verschollen ist. Die Secus haben sie ungeachtet der offensichtlichen Verletzungen (Ein Mensch, der in einer solchen Situation nicht aufstehen kann, ist offensichtlich verletzt!) auf die Ladefläche ihres Autos geworfen. Keiner weiß, wohin sie den Verletzten gebracht haben. Es dauert eine gute weitere Stunde, bis sich heraus stellt, dass sie den Menschen der Polizei übergeben haben, die ihn festgenommen hat.

Aktuell soll er wegen starker Rückenschmerzen auf dem Weg ins Krankenhaus sein. Mein Hirn bleibt analytisch, mein Adrenalin kocht nichtmal auf Sparflamme. Ganz bestimmt, sagt mir mein Hirn, wird niemand zugeben, den Menschen angefahren zu haben. Irgend etwas hat man sich ausgedacht, die Polizisten haben es geschluckt und ermitteln mal wieder nur in eine Richtung – in die, die zwangsläufig vom Täter wegführt.

Ich erinnere mich, dass schon mehrfach Menschen von Secus so schwer verletzt wurden, dass sie eigentlich ins Krankenhaus gehört hätten. Anstatt Aussagen aufzunehmen und gegen die Secus zu ermitteln, glaubte die Polizei deren einhelliger Aussage, die Betroffenen seien „gegen das Auto gelaufen“…

Selbst diese Erinnerung, ein Ereignis, das mich vor ein paar Monaten im Dreieck hat springen lassen, weil ich Ungerechtigkeiten einfach nicht ertrage, lässt mich vielleicht nicht gänzlich kalt, aber doch lauwarm. Und auch als ich im Laufe des Abends erfahre, dass der Arzt es dem verletzten Menschen unmöglich gemacht hat, sich behandeln zu lassen, weil er dazu zwingend dessen Personalien haben wollte (verständlich) und ankündigte, diese umgehend an die Polizei weiterzugeben (ein eindeutiger Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht, weil es hier nicht um die Verhinderung einer Straftat ging), bleibe ich ruhig. Viel zu ruhig. Selbst nach diesem Video:

 
Ratlos frage ich mich, was mit mir los ist. Nüchtern vermute ich, dass ich vielleicht zu schockiert bin, fassungslos irgendwie. Aber als mich dann auf meiner Facebookseite jemand, von dem ich weiß, dass er pro RWE ist, versucht aus der Reserve zu locken, indem er das Verhalten der Aktivisten indirekt anprangert, während er die Tat des Secus völlig ignoriert, da erkenne ich, was mit mir los ist.

Ich bin müde. Müde und traurig.

Ich bin es müde, ständig Diskussionen zu führen mit Menschen, die eigentlich nicht einmal die Antwort auf ihre Frage interessiert, weil das Bild, das sie sich gemacht haben, längst in Stein gemeißelt ist.

Ich bin traurig, weil der Hambacher Forst immer kleiner wird und von den wenigen, die ihn verteidigen, kaum jemand zu den Bürgern der angrenzenden Ortschaften zählt, die dem Wald lange Zeit Erholung, Ruhe und Gesundheit verdankten. Wer erinnert sich noch daran, wie die Geräusche der A4 plötzlich in Watte gehüllt werden, wenn man an einem strahlend schönen Sommertag den friedlichen Wald betritt.

Seine Beschützer werden verteufelt. Kaum jemanden interessiert der Mensch hinter der Maske, nicht weil er nicht zu sehen ist, sondern weil man sein Handeln nicht gutheißt, ohne es je hinterfragt zu haben. Der Mensch hinter der Maske ist asozial, kriminell, ungewaschen, ein mieser kleiner Schmarotzer. Ungewaschen zu sein ist keine Straftat und keine Kunst, wenn man sich einsetzt an einem Ort, der nicht den Luxus von fließendem Wasser bietet. Alles andere sind unreflektierte Behauptungen, die hohlen, geldgesteuerten Köpfen entspringen.

Nicht einmal die Polizei hält es für nötig, ihrer Arbeit nachzugehen. Ermittelt wird grundsätzlich einseitig, im Sinne von RWE und ihren Handlangern. Beweise werden ignoriert, bis sie nicht mehr auffindbar sind. Mordanschläge werden totgeschwiegen, indem Mauern aus unhaltbaren Beschuldigungen um sie herum gezogen werden. Nicht einmal jene, die den hippokratischen Eid geleistet haben, tun mehr ihre Pflicht, sobald es sich bei Hilfesuchenden um Waldbesetzer handelt.

Ich frage mich: Wie kann es sein, dass Menschen ungestraft andere mit dem Auto überfahren dürfen? Warum wirft man eine am Rücken verletzte Person auf die Ladefläche eines Wagens? Wie kann es sein, dass eine verletzte Person nicht umgehend ins Krankenhaus gebracht, sondern erst einmal festgenommen wird? Warum sichert die Polizei keine Spuren, warum werden keine Zeugen befragt? Wie kann es sein, dass ein Arzt, wissend dass sein Patient seine Personalien nicht preisgeben wird, offen ankündigt, seine Schweigepflicht zu brechen? Aus welchen Gründen wird mal wieder alle Schuld auf diese eine Personengruppe geschoben?

Mich erinnert das alles sehr an rechte Hetze. Weil man sich nicht traut, sich gegen die Staatsgewalt oder Menschen mit Titel und weißem Kittel zu stellen, weil man sich nicht traut, aufzustehen und sich gegen oder für etwas einzusetzen, stellt man sich gegen die, die man eigentlich gar nicht kennt – die aber praktischerweise alles schuld sein dürfen, weil sie „anders“ sind.

Ja, sie sind anders. Sie machen sich Gedanken, sie haben Ideale, haben Träume. Sie haben Mut, sie schauen nicht weg, sie setzen sich ein. Sie hocken nicht auf dem Sofa und glotzen die hundertste Folge irgendeiner Quizsendung sondern sitzen auf Bäumen und bewachen den Wald.

Und ich? Ich bin müde. Müde und traurig.

©Andrea Wlazik

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