Trotz steigendem Umweltbewusstsein und verstärkter Öffentlichmachung des Problems „Plastiktüte“ verbraucht immer noch jeder Deutsche im Schnitt 71 Tüten pro Jahr. Über 10.000 kleine und große Plastiktüten werden jede Minute an den Ladenkassen herausgegeben. Die EU will den Verbrauch von Kunststoffbeuteln weiter senken.
Doch immer noch weigern sich einige Einzelhändler, kostenlose Plastiktüten freiwillig aus ihren Filialen zu entfernen. Kommen wir um ein Plastiktütenverbot nicht herum?
Was soll denn das?
Entsetzt schaue ich auf die Shopping-Ausbeute meiner Teenie-Tochter. Den Inhalt kann ich zunächst gar nicht sehen, der macht mir erst eine Weile später graue Haare. Zunächst sehe ich nur zwei kleine Plastiktüten mit Rossmann-Aufdruck. Eine Zeit lang waren Plastiktüten hier ein wahres Dauerthema, weil immer mal wieder die ein oder andere hier eintrudelte. Mal war das geschnittene Bäckerbrot drin, mal Käse, mal Obst oder Gemüse und sehr häufig Kosmetika und Pflegeartikel aus dem Drogeriemarkt. Mittlerweile hat die Vernunft gesiegt und nur noch selten stehen mir die Haare – quasi tütentechnisch statisch aufgeladen – zu Berge. Zumal Töchterchens favorisiertes Shoppingziel, der dm-Drogeriemarkt, neuerdings keine kostenlosen Plastiktüten mehr aushängen hat.
Was sind denn schon sechs Milliarden Plastiktüten?
Völlig anders handhabt die Konkurrenz das leidige Umweltthema. Drogeriemarkt Rossmann will in seinen Fillialen weiterhin kostenlose Plastikbeutelchen an der Kasse aushängen. Sehr zu meinem Leidwesen – und dem unserer Umwelt.
Mir reicht es auch nicht, dass die kleinen „Mitnehmtütchen“ aus Zuckerrohr und zu 100% recyclingfähig sind (zu lesen neben so werbewirksamen Sprüchen wie „Wir handeln nachhaltig“, „Natürlich verpackt“…). Denn es wird nicht angegeben, wie hoch der Zuckerrohr-Anteil ist. Aber selbst wenn dieser 100% betragen würde, handelt es sich immer noch um ein landwirtschaftliches Produkt, das für sogenanntes Bioplastik in Monokultur angebaut und für das sogar Regenwälder abgeholzt werden. Nachhaltig geht anders!
Würde man alle in Deutschland verbrauchten Plastiktüten aneinander reihen, ließe sich die Erde 39 Mal damit umwickeln. Plastikbeutel werden aus dem sowieso schon immer knapper werdenden Rohöl gewonnen. Häufig transportieren sie Waren nur über wenige Meter und landen danach bestenfalls als Müllbeutel im Abfalleimer. Die durchschnittliche Lebensdauer einer Plastiktüte wird auf 25 Minuten geschätzt, bis zu ihrem vollständigen Abbau vergehen (abhängig von Kunststoffart und -dicke) einige Jahrhunderte. In dieser Zeit können sich Tiere an den Überresten von Tüten strangulieren, verwechseln kleinste Teilchen mit Futter und verhungern mit plastikgefülltem Magen elendig. Meerestiere nehmen Mikroplastikteilchen auf und transportieren sie auf unseren Teller, von wo aus sie unsere Gesundheit empfindlich beeinträchtigen können.
Aber „Who cares?“ Rossmann anscheinend nicht.
Erstaunlich gute Vorbilder
Dafür interessiert es die Regierungen vieler Länder, von denen wir im „ach so fortschrittlichen“ Deutschland nicht vermuten würden, dass sie für uns eine Vorbildfunktion in Sachen Umweltschutz haben könnten. In Bangladesch, Kamerun, Tansania, Ruanda und Papua-Neuguinea zum Beispiel sind Plastiktüten komplett verboten, ebenso in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Noch mehr Länder haben Plastiktüten verboten, manchmal abhängig von Stabilität und Kompostierbarkeit der Tüten, manchmal lokal begrenzt, oft staaten- oder landesweit.
Dass es auch ohne Verbote geht, zeigt das Beispiel Irland. Mit einer Umweltsteuer von zunächst 0,15 €, später 0,22 € und dann 0,44 € pro Tüte gelang es dort, den jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 328 auf 16 Plastiktüten zu verringern.
118.000 Stimmen für Zwangsabgabe
Am 14. August 2014 startete die Studentin Stefanie Albrecht gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe eine Petition, in der sie von Deutschlands Umweltministerin Barbara Hendricks die Einführung einer Umweltabgabe auf Plastiktüten in Höhe von 22 Cent forderte. Die damals 28-jährige visierte50.000 Stimmen an. Am 29.01.2015 übergab die DUH 118.000 Unterschriften für eine Umweltabgabe auf Plastiktüten an das Bundesumweltministerium.
Darf’s ein bißchen mehr sein?
Bei meinen Recherchen stieß ich auf unterschiedliches Zahlenmaterial im unten eingebetteten Video, bei der Deutschen Umwelthilfe, beim Umweltbundesamt und in verschiedenen anderen Medien. Im Schnitt wird von einem Pro-Kopf-Verbrauch von 65 bis 76 Plastiktüten jährlich ausgegangen. Das Umweltbundesamt kommt bei 65 Tüten ebenfalls auf die im Film genannten 10.000 Tüten pro Minute. Ob 65 oder 76 – angesichts der Brisanz des Themas ist jede Tüte eine zuviel! Und ob man die Erde nun 39 oder 46 Mal damit umrunden könnte…
Fazit
Wir als Käufer können mit unserem Kaufverhalten demonstrieren, was wir möchten und was nicht. Mein Teenie wird wohl aus Angst vor meinem furchterregenden Augenrollen künftig wieder zu ihrem Lieblingsdrogeriemarkt wechseln und ihre mitgebrachte Tasche benutzen. Von den Menschen, die den Plastik-FreiTag verfolgen, nutzen vermutlich die Meisten bereits Alternativen. Manche nehmen Körbe mit, andere die gute alte Jutetasche oder einen Leinenbeutel. Die Deutsche Umwelthilfe empfiehlt von den in den Supermärkten und Discountern käuflich zu erwerbenden Alternativen ausdrücklich die Mehrwegtasche aus Recyclingmaterial.
Wichtig ist, dass wer die Tragweite des Plastiktütenproblems erkannt hat, Aufklärungsarbeit leistet und immer wieder deutlich macht, was er wünscht und was nicht. Das können wir mündlich an der Kasse äußern, ob es aber von den KassiererInnen dorthin getragen wird, wo es hingehört, ist fraglich. Deshalb empfiehlt es sich, per Mail, Postkarte oder Brief den eigenen Standpunkt deutlich zu machen – zum Beispiel bei Rossmann. Um Ihnen die ganze Sache so einfach wie möglich zu machen, gibt es hier eine automatisierte Mail an den Drogeriemarkt, unter die Sie nur noch ihren Namen setzen müssen. Wer kein Standardmailprogramm eingerichtet hat oder lieber einen Brief schicken möchte, der findet hier das Musteranschreiben an Rossmann.
Nächste Woche geht es weiter mit dem Plastik-FreiTag. Sie dürfen gerne einfach nur neugierig bleiben, wir freuen uns aber auch über Themenvorschläge und Fragen.
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