Ausnahmezustand

Wer kennt das nicht: Man hat die besten Vorsätze und glaubt sich auf einem guten Weg. Auf einmal überschlagen sich die Ereignisse, die Nerven liegen blank, die Zeit wird knapp und schon erinnert sich unser Gehirn an die alten Verhaltensmuster, die es aus dem Eff-Eff beherrscht, für die es sich nicht anstrengen muss und die ihm aus diesem Grunde gerade jetzt, mitten im Chaos am Geeignetsten scheinen.

Ausnahmezustand

Wir sind eben alle nur Menschen. Wir können vieles planen und beeinflussen, aber eben nicht alles. Chaos zieht gerne Chaos an und so überschlagen sich die Dinge von Zeit zu Zeit und stellen uns vor Herausforderungen, die unsere volle Konzentration brauchen. Vieles, das auf unserer Prioritätenliste eben noch ganz oben stand, erscheint plötzlich nebensächlich. Das ist gut so, völlig normal und sehr verständlich. Wir haben eben alle – so perfekt wir auch gerne sein möchten – nur ein begrenztes Kontingent an Kraft, Zeit und Nerven.

Wenn Ausnahmezustand herrscht, passieren plötzlich Dinge, von denen wir glaubten, dass sie uns nie wieder passieren. Plötzlich bekommt wer seit einer ganzen Weile schon kein Stück Fleisch mehr gegessen hat und sich Vegetarier nennt, unbändigen Appetit auf ein Wiener Schnitzel, der penetrante Ex-Raucher würde nur zu gerne auf die Terrasse verschwinden und sich einen Glimmstengel anzünden. Da werden die nachgewachsenen Nägel, auf die man so stolz war, wieder abgeknabbert und mühsam verlorene Kilos wieder angefuttert.

Meine persönliche Überzeugung ist, dass das Hirn im Ausnahmezustand selektiert, was gerade wirklich wichtig ist. Alles, von dem es glaubt, dass es entbehrlich ist oder zuviel Konzentration in Anspruch nimmt, blendet es einfach aus.

Und jetzt?

Zeit war in den letzten zwei Wochen ebenso Mangelware wie plastikfrei verpackte Produkte. Einziger Lichtblick: Barilla-Nudeln. 2013 machte sich Nudelfabrikant Guido Barilla unbeliebt, weil er es ablehnte, mit Homosexuellen Werbung zu machen. In der „klassischen Familie“ habe die Frau eine „fundamentale Rolle“. Wenn sich Homosexuelle daran stören würden, könnten sie ja andere Nudeln kaufen. Meiner Meinung nach unentschuldbar und normalerweise würde ich eine solche Nudelmarke auch boykottieren.

Leider kollidiert mein Gerechtigkeitsempfinden da eindeutig mit der Verfügbarkeit anderer Marken, die ohne Plastik zu bekommen sind. Und so landet immer dann, wenn sie in unserem Edeka für 0,69 € oder 0,79 € im Angebot sind, eine größere Menge Barilla-Nudeln in unserem Einkaufswagen. Meine große Hoffnung ist, dass mein Zeit- und Nervenkontingent in naher Zukunft wieder Normalmaße erreicht und ich dann endlich mal dazu komme, Nudeln selbst zu machen und ihre Haltbarkeit auszutesten.

Aber jetzt schlägt mein Hirn gerade schon wieder Haken, das tut es in den letzten Tagen öfter. Helfen, signalisiert es mir dann deutlich, kann nur eine Pause und eine Ladung Koffein und Schweinkram. Mit „Schweinkram“ meine ich selbstverständlich nichts, das für unter 18-jährige nicht geeignet wäre. Vielleicht ist „Nervennahrung“ passender. Ich bin ein Stehaufmännchen, ich jammere nicht viel herum, ich beiße mich einfach durch, auch durch jede Form von Ausnahmezustand. Aber auch Stehaufmännchen haben ihre Bewältigungsstrategien. Meine besteht je nach Lust und Laune meines Hirns aus Cola, Schokolade, Chips, Nussecken, Nussecken und zu guter Letzt Nussecken.

Wenn ich Abends noch spät konzentriert arbeiten muss, besteht mein Gehirn auf Cola und Chips. Ich wollte nie wieder Cola trinken. Ja, ich wollte sogar nie wieder irgendwas aus Plastik- und schon gar nicht aus Einwegflaschen trinken. Und soviel Plastik für so wenig Inhalt, wie es bei Chips der Fall ist – geht ja gar nicht! Mein Hirn interessiert das nicht. Es will Cola. Jetzt. Hier. Sofort. Und Cola geht nur mit Chips – zumindest meint das mein Hirn.

Schlechtes Gewissen

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich gerade KEINE Cola und KEINE Chips im Haus habe. Immer wieder verliere ich meinen Gedankenfaden und nehme ihn an anderer Stelle wieder auf, was schonmal zu unauflösbaren Knoten führen kann. Zurück zum Plastik!

Davon landete in den letzten beiden Wochen wieder deutlich zuviel in unserem Einkaufswagen. Ich schicke meinen Mann, EINE Flasche Cola und EINE Tüte Chips holen, zurück kommt er mit zwei Flaschen Cola, zwei Tüten Chips und damit niemand meckern kann, hat er gleich noch jeweils eine Flasche gelbe und weiße Limo und einmal Bitter Lemon mitgebracht. Wofür ich ihm sonst den Kopf abgerissen hätte, sortiert mein Hirn angesichts meiner stetig nachlassenden Kraftreserven und in Anbetracht des rasch verfügbaren heiß ersehnten Schweinkrams ohne zu zögern in die Kategorie „Wen interessiert’s?“ ein.

Zum Backen war keine Zeit und die Nerven haben heute nichtmal mehr gereicht, um beim Bäcker auf die Papiertüte für den gekauften Hefezopf zu bestehen. Beim Blitzeinkauf hat man sich an der Kühltheke deutlich schneller den abgepackten Käse geschnappt als man ihn inklusive Anstellen und Diskussion über erwünschte und unerwünschte Verpackung an der Käsetheke bekommen hätte. Mein Mann kauft sich für die Arbeit Butter im Margarinepott – klingt unlogisch, aber irgendwas ist da drin, was die Butter besser schmierbar macht. Da auch sein Nervenkostüm und sein Zeitkontingent gerade zu wünschen übrig lassen, vergisst er das Zeugs hier zu Hause. Hirn sagt: Wow, bequem! Keine Butterdose suchen, nichts umfüllen, keine Schaberei an der gekühlten Butter und das Brot zerbröselt beim Schmieren auch nicht. Also benutzen wir das Schmierzeugs hier, während mein Mann sich unterwegs Neues kauft.

Konsequenz ist anders! Aber ein schlechtes Gewissen ist ein schlechter Begleiter, das weiß jeder, der sich schonmal im Ausnahmezustand befunden hat. Nur einmal ziehen, nur ein Gummibärchen, nur ein Stück Schokolade, ein Glas Bier. Am Ende kauft man doch eine Packung Zigaretten, eine Tüte Gummibärchen, eine ganze Tafel oder man gibt sich gleich die Kante. Allzu oft im Leben spielt eine kleine Sünde den Rattenfänger von Hameln und lockt mit ihrer süßen Melodie viele weitere hinter sich her.

So nicht!

So will ich das nicht. Ich will nicht wieder zurück dahin, wo wir mal waren. Und deshalb versuche ich jetzt einfach mal nur das aufzuzählen, was gut gelaufen ist. Die Barilla-Nudeln, politisch unkorrekt, aber immerhin plastikfrei. Auch wenn wir zwei Joghurtbecher gekauft haben, haben wir doch die vierfache Menge in der Joghurtmaschine daraus gezaubert und somit wieder Müll gespart. Wenn ich mal gebacken habe, habe ich weiterhin den Teig in der Schüssel mit einem Teller abgedeckt und das Brot später im sauberen Geschirrtuch bzw. in Backpapier eingewickelt aufbewahrt. Ich habe nicht auf das alte Muster „Frischhaltefolie“ zurück gegriffen, trotz Ausnahmezustand und obwohl noch ein Rest irgendwo in der Schublade schlummert.

Plastikverpackungen um Wurst oder Käse haben wir insofern gespart, als dass die Kinder öfter mal ein Pausen-Müsli mitgenommen haben (mehr dazu in einem der kommenden Plastik-FreiTage). Unser Wasser kaufen wir nach wie vor in Glasflaschen und statt mit Müllbeuteln sind unsere Mülleimer ausgekleidet mit Zeitungspapier.

Vorbereiten auf den nächsten Ausnahmezustand

Ich habe einen neuen guten Vorsatz gefasst. Ich will mit mir und meinen Mitmenschen geduldiger sein, solange der Ausnahmezustand anhält. Wenn er vorbei ist, werde ich umgehend Vorbereitungen treffen, damit der nächste Ausnahmezustand mich zumindest plastiktechnisch nicht mehr überrumpeln kann.

Dann werde ich Eiswürfel im Gefrierschrank haben, mit denen ich mir gesüßten schwarzen Tee mit Zitrone runterkühlen kann. Außerdem werde ich mir als eines der nächsten Themen mal herzhafte plastikfreie Naschereien vornehmen. Zucchini-Chips habe ich schon ausprobiert, die sind nichts geworden. Vielleicht versuche ich einfach mal, Brotscheiben mit Knoblauch in einer Pfanne zu rösten. Oder Erdnüsse, oder, oder, oder…

Aber all das muss warten, denn der Faden hat sich schon wieder verknotet. Bevor ich mich hier um Kopf und Kragen schreibe, nur noch ein kurzes Fazit: Immer schön locker bleiben!

© Andrea Wlazik

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