Am 16.09.2014A4 wurde die neue A4 eröffnet. Hinter den meisten Buirern liegt ein Jahr Autobahnlärm dank unzureichendem Lärmschutz, für viele sogar ein Jahr Ärger mit der Bürokratie.

Aber es war auch ein Jahr der Erkenntnis, der neuen Ideen, ein Jahr neuer Bündnisse und intensivierter Kämpfe gegen die Wurzel allen Übels…
 

Abschied von der Stille, die neue A4 jährt sich

Am 16. September 2014 wurde die neue Trasse der A4 offiziell eingeweiht. Am Vorabend der Einweihung lud die Bürgerinitiative Buirer für Buir zu einem „Abschied von der Stille“ ein. Diesem Abend, dem letzten wirklich ruhigen Abend in Buir, wird heute Abend wieder gedacht.

Bei einem Gottesdienst und anschließendem Picknick auf dem Gedenkplatz auf dem Buirer Wall, von dem aus man einen schaurig-schönen Ausblick auf die verbleibenden Wälder in direkter Nachbarschaft zum Tagebau Hambach hat, werden sich viele Buirer Bürger gemeinsam erinnern, wie vor einem Jahr Aktive der Initiative gemeinsam mit vielen Nachbarn und Freunden aus dem braunkohlekritischen Netzwerk auf der „Olbertze Brück“ Abschied von der Stille nahmen.

Die neue A4 wurde unmittelbar an den Ortsrand gelegt, um dem Tagebaubetreiber RWE die Möglichkeit zu geben, den Tagebau Hambach zu erweitern. Das Resultat ist eine zusätzliche Belastung des einst so beschaulichen Ortsteils Kerpen-Buir mit Lärm, Dreck, Feinstaub, Bergschäden, etc.

„Es ist uns wichtig, daran zu erinnern, welche Lebensqualität Buir vor Verlegung der A4 an den Ortsrand hatte und was wir seit einem Jahr verloren haben“, sagt Andreas Büttgen von der Initiative Buirer für Buir. „Wir wollen aber auch den Menschen Mut machen, dass es noch Verbesserungsmöglichkeiten und gute Ideen gibt, dass es sich lohnt nach vorne zu schauen und sich einzubringen – insbesondere auch, da mit dem näher rückenden Tagebau die Herausforderungen noch größer werden.“

So geht es heute Abend vor allem um das Teilen: das Teilen von Erinnerungen, Ideen, Sorgen, Informationen – aber auch um das Teilen von Essen und Trinken. Im Anschluss an den ökumenischen Nachbarschafts-Gottesdienst auf dem Buirer Wall wird ein gemeinsames „Mitbring“-Abendessen stattfinden.

Ich persönlich möchte den heutigen Tag zum Anlass nehmen, mich daran zu erinnern, was ich vor einem Jahr auf der Homepage der „Netzfrauen“ zu meinen ersten Erfahrungen mit der neuen A4 geschrieben geschrieben habe:

A4 – Schluss mit lustig!

Kennen Sie das Gefühl, mit dem falschen Bein aufgestanden zu sein? Ähnlich geht es mir heute. Allerdings bin ich wohl eher mit dem falschen Ohr aufgestanden. Man hat mir meine Ruhe gestohlen!

Der Grund, warum ich heute früh so richtig üble Laune habe:

Die neue A4

In unserer oft viel zu hektischen und lauten Zeit sind die paar Minuten Ruhe zwischen Telefonklingeln, Kindergeschrei, Diskussionen und den Handygesprächen all jener, die sich in unserer Nähe befinden, so ziemlich das Kostbarste, das wir haben. Wir brauchen sie um zu entspannen, abzuschalten, uns zu regenerieren.

Ich habe sie immer sehr genossen, die paar Minuten am Tag, in denen hier mal wirklich Ruhe war. Morgens um 6 Uhr mit dem Hund in den Garten und nichts anderes hören als vielleicht ein paar erste Vogelstimmen oder das entfernte Klappen einer Haustüre, das fand ich einfach himmlisch.

Das beste aller Güter, wenn es überhaupt Güter gibt, ist die Ruhe, die 
Zurückgezogenheit und ein Plätzchen, das man sein eigen nennen kann.
(Jean de La Bruyère)

Bei uns ist es irgendwie immer laut. Kaum, dass ich wieder drin bin, steht auch schon das erste Kind auf der Matte. Wenn sich dann das zweite oben bewegt, macht der Dackel einen Krach, als seien Einbrecher im Haus. Am Tisch wird gequasselt was das Zeugs hält, gezankt und gezofft, gelacht und geschimpft. So geht das dann, bis die Große aus dem Haus ist und ich mein i-Dötzchen zur Schule gebracht habe.

Zu Hause angekommen, rauschen Spülmaschine und Waschmaschine, tickt die Wanduhr, klingelt das Telefon, gibt der Kühlschrank seltsame Laute von sich. Und wenn mal nichts davon der Fall ist, ist es der Dackelin zu ruhig und sie bellt sich selbst an. Oder das Telefon klingelt. Oder ich arbeite und die Tastatur klappert. Und ehe ich mich versehe ist Mittag, dann wird gebrutzelt und wieder geklingelt und dann ertönen hier erst zwei, dann drei und dann vier Kinderstimmen. Nicht wundern – weil es mir hier immer zu ruhig ist, leihe ich mir noch welche aus *ironieoff*.

Aaaaargh, während ich hier schreibe, kommt ein weiterer „Ruhebrecher“ vorbei. Eigentlich sind es mehrere. Zig Schrotthändler fahren hier täglich in der Gegend rum. Wenn man Glück hat, hört man nur ihre Pritschenwagen. Hat man weniger Glück, haben sie eine durchdringende Klingel, so wie früher der Eiermann: „Driiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiing!!!!“ Wenn man Pech hat, fährt einer von denen vorbei, die digitalisierte Musik über Lautsprecher laufen lassen. Und wenn man großes Pech hat, kommt der mit der Endlosschleife voll verschiedener volkstümlicher Lieder, in einer Qualität wie auf dem Handy programmiert. Eines davon ist „Happy Birthday to you!“ – aber glauben Sie mal nicht, dieser Schrotti wäre auch nur an einem meiner vielen Geburtstage mal hier vorbeigefahren…

Wenn die Kinder abends im Bett liegen, kommt meine zweite ruhige Phase: Ab in den Garten, Pflanzen gießen und Hund pinkeln lassen. Die absolute Wonne sind die Wochenenden. Während alle noch ruhig schlafen, hat sich mein innerer Wecker gemeldet. Dann liege ich im Bett und genieße es, außer dem Schnarchen meines Mannes – und das lässt sich ganz einfach mit einem Ellenbogenschubser eingrenzen – nichts zu hören. Einfach gar nichts.

Heute bin ich früher aufgewacht. Ich hab den kleinen schwarzen Kater reingelassen und gefüttert und mich richtig drauf gefreut, mich wieder ins Bett zu legen und noch ein paar Minuten Ruhe zu genießen. MEINE ruhigen Minuten.

Aber es war laut! So richtig laut. So laut, dass nix war mit Genießen, nix mit Dösen, nix mit Vor-mich-hin-träumen! Jemand hat mir meine ruhigen Minuten geklaut!

Fuhr hier sonst am Wochenende ab und an mal ein Auto vorbei, empfand man eins der seltenen Motorräder oder Mofas schon als Lärmbelästigung – jetzt ist hier Dauergeräusch! Würde ich neben der Autobahn zelten, es könnte kaum lauter sein. Nicht erst wenn ich die Augen schließe, höre ich Autos am laufenden Band vorbeirauschen und LKWs dröhnen. Ich hätte mich beinahe gefragt, was diese Idioten in meinem Schlafzimmer veranstalten. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Die neue Autobahn – die A4!

Mein Adrenalinspiegel stieg und mir schossen plötzlich lauter Wörter durch den Kopf, für die meine Kinder Geld in die Schimpfwortkasse werfen müssen. Diese dämliche Autobahn! Dieses Sch***-Ding, das niemand wollte außer RWE Power und den Unternehmern, die am Bau beteiligt waren, ist eröffnet. Waren die ersten Tage – als erst eine Spur eröffnet war – echt noch erträglich, so ist es jetzt nur noch zum K*****.

Ich schließe das Fenster und muss kurz drauf nießen – frisch verrigipste Wände sind eben ziemlich trocken, was sich mit offenem Fenster noch gut ertragen lässt. Danke, RWE, Du A****-Laden!

Überflüssig wie ein Kropf

Mal ganz abgesehen von „meinen“ ruhigen Minuten: Ich empfinde es als Unrecht, dass diese Autobahn jetzt schon eröffnet wurde. RWE braucht das Gelände um die alte A4 frühstens in 2017. Bis dahin ist noch viel Wasser den Rhein runtergelaufen. Allerorten gibt es Demonstrationen gegen Kohlekraft, so dass die Menschheit dieses leidige Thema hoffentlich bald zu den Akten legen kann.

Aber was ist dann mit den Anwohnern der direkt an die neue A4 grenzenden Ortschaften? Die haben dann diese Sch***-Autobahn weiter vor der Tür. Die Steuergelder sind verschleudert, die Häuser haben an Wert verloren, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Wir haben hier keinen Wald mehr als Geräusch- und Abgaspuffer, wie es noch bei der alten A4 der Fall war. Und der vielgepriesene „Leisetreter“-Asphalt ist genauso unglücklich begrenzt aufgebracht wie der „Lärmschutz“-Wall aufgeschüttet wurde. An einem Ende des Ortes ist NICHTS. Nichts schützt uns hier vor dem Lärm oder den Abgasen. Herzlichen Dank auch, werte Damen und Herren Politiker, werte RWE-Sympatisanten und Großaktionäre!

Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen
wie die Cholera und die Pest.
Robert Koch

Ein schwacher Trost bleibt mir: Unsere Bürgermeisterin wohnt nur wenige Meter von uns entfernt. Ich hoffe, dass sie morgens genauso frustriert und zornig in ihrem Bett liegt wie ich und, dass sie sich abends in ihrem Garten fragt, was um Himmels Willen sie da eingetauscht hat gegen die finanziellen Interessen einiger weniger Großmogule.

Ein Jahr später

Es hat sich viel geändert. Unsere Bürgermeisterin ist nicht mehr unsere Bürgermeisterin. Mein kleiner schwarzer Kater weilt nicht mehr unter uns.

Aber wir wohnen immer noch in Buir. Und ich bin immer noch grätzig. RWE finde ich immer noch Sch****. Die neue A4 auch. Eigentlich habe ich gar keine Zeit. Um 18 Uhr fängt schon der Gottesdienst an. Aber in Gedenken an meine ruhigen Minuten und die Erfahrungen, die der Sommer mit sich gebracht hat  – unterm Dach zu schlafen bei über 30°C mit geschlossenen Fenstern ist schon eine geile Erfahrung – werde ich mich gleich auf den Wall schleppen, mit einem frischen Brot und den Resten meines Nervenkostüms. Ich werde mir anhören, was die Menschen zu berichten haben – sofern man es gegen den Autobahnlärm hört. Ich werde hinüberschauen zum Hambacher Forst und ihm leise danken für alles, was er von uns ferngehalten hat.

Und ich werde hinüberschauen zum Tagebau Hambach und mich daran erinnern, dass man bei schlechtem Wetter sein wahres Gesicht erkennt. Dann ist ersichtlich, wo das wahre Mordor liegt. Bleibt zu hoffen, dass auch unser Mordor vom Bösen befreit wird, dass seine Sklaven die Freiheit erhalten und die Menschen in diesem Gebiet Autonomie erlangen – frei von todbringender Braunkohle.

Andrea Wlazik