Leise Eroberung

Um dem Baulärm und der hohen Polizeipräsenz etwas entgegen zu setzen, haben wir die leise Eroberung initiiert, einen täglichen stillen Spaziergang mit Meditation und kreativem Austausch, dem sich anschließen kann, wer das Bedürfnis hat, etwas für den Hambacher Forst zu tun. Die Resonanz ist groß, die Eindrücke vielfältig. Hier möchten wir Tag für Tag über die Aktion berichten.

Die leise Eroberung

Die zunehmende Zerstörung im Hambacher Forst, einem der urwüchsigsten Wälder Deutschlands, hat uns schwer getroffen. Es ist hart, zuzusehen, wie Bäume fallen, Büsche einfach achtlos beiseite geschoben werden und dabei auf nichts und niemanden Rücksicht genommen wird. Die Rodungssaison ist vorbei. Es ist Paarungs-, Brüte-, Laichzeit, Ruhe und Friede wären, was die Tierwelt jetzt braucht. Statt dessen dröhnt der Lärm von Fräsen, Baggern und sonstigen Gerätschaften durch den Wald. Über die stark verbreiterten Wege fahren kontinuierlich Polizeipatrouillen.

Nachdem ich die rücksichtslose Zerstörung am Montag, 14. März 2016 hautnah miterleben durfte, haben wir uns die Köpfe zerbrochen, wie wir Menschen in den Wald bekommen können. Friedliche Menschen, die den Wert des Lebewesens Wald zu schätzen wissen, die bereit sind, ihm zu helfen mit ihrer Kraft und Kreativität. Am Mittwoch Abend erwähnte mein Mann seinen Wunsch nach einer regelmäßigen Meditation im Wald, zu der er gerne Menschen einladen würde. Die Idee wurde diskutiert, erweitert, ausformuliert. Gut eine Stunde nach ihrer ersten Erwähnung war die Einladung auf Facebook gepostet und verbreitete sich so schnell, dass klar war, dass wir mit dem Wunsch, möglichst rasch und ohne Umwege etwas für den Hambacher Forst zu tun, nicht alleine dastehen.

Außenstehenden mag es sinnfrei vorkommen, täglich durch den Wald zu laufen und „ein Schwätzchen“ zu halten. Sie verstehen nicht, dass die Präsenz im Wald wichtig ist, um zu signalisieren, dass der Wald nach wie vor von den Bürgern genutzt wird und wir ihn nicht aufgegeben werden. Um dies zu unterstreichen, wird es in den kommenden Wochen zahlreiche friedliche Aktionen geben, die mitzugestalten und vorzuschlagen, jede/r eingeladen ist.

Das erste Mal

Am Mittwoch, 16. März fuhr mein Mann ziemlich aufgeregt zum Treffpunkt am Parkplatz Manheimer Bürge. Innerlich war er darauf vorbereitet, umsonst zu warten und seinen Spaziergang alleine abzuhalten. Er irrte. Pünktlich um 10:00 Uhr kamen zwei Frauen, eine aus Düren und eine aus Bonn. Später gesellte sich der Braunkohletourist Todde Kemmerich dazu. Die Meditation am See fiel kürzer aus als geplant. Mein Mann hatte noch nie zuvor eine Gruppe geführt und brauchte wohl diesen ersten Tag, um sich darüber klar zu werden, wie man einen solchen meditativen Spaziergang anleitet. Die Situation blieb dennoch entspannt, zumal Todde einiges an Wissen mitbrachte und so (noch) bestehende Defizite ausglich.

Die Polizei wusste anscheinend schon vom „10:00 Uhr-Spaziergang“, wie ihn die Polizistin nannte, die die erste von drei Ausweiskontrollen durchführte. So macht ein Waldspaziergang doch Spaß…

Auf ein Neues

Am Donnerstag, 17. März waren wir von Beginn an zu Dritt. Ich hatte am Vormittag frei und unser Sohn (8) war vom Arzt krank geschrieben, mit der Vorgabe, viel Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Um 10:10 Uhr starteten wir allein, trafen dann aber doch am Waldeingang auf zwei Menschen aus dem Raum Bochum bzw Frankfurt, die gerade auf dem Weg zum Treffpunkt waren.

Nachdem vor allem der meditative Part am Vortag zu kurz gekommen war, hatten wir uns vorab passende Texte ausgedruckt. Am See, dem sogenannten Kraftort, angekommen, setzten wir uns und ich las die Rede vom Häuptling Seattle. Dort, mitten in der Natur, an diesem wunderschönen Platz, umgeben vom Zwitschern der Vögel, fühlte ich mich mittendrin in diesen eindrücklichen Zeilen. Ich spürte den Schmerz und die Trauer, den Verlust, den der Häuptling gespürt haben muss, als er wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb als sein Land freiwillig herzugeben, weil man es ihm und den Seinen sonst mit Gewalt nähme und ihr Leben möglicherweise gleich mit dazu. Ein paar Mal dachte ich, ich könne nicht weiterlesen, so sehr drückte der Kloß in meiner Kehle. Aber es ging doch. Und so hatten wir mit dieser liebevollen und ehrfürchtigen Schilderungen der Erde eine wunderbar passende Begleitung der mediativen Phase des Spaziergangs.

Anschließend spazierten wir durch den Wald, unter „Oak Town“ durch, einer der Besetzungen, bestehend aus drei Baumhäusern. Ein Aktivist war gerade unten und berichtete von der angespannten Situation im Wald, von Polizisten, die die Aktivisten jagen, sobald sie sie sehen. Er erzählt von Sirenen, die am frühen Morgen die Ruhe des Waldes durchbrechen und von einem durchdringenden Geräusch, das mehrfach in der Stunde aus Richtung der Bauarbeiten auf der alten A4 ertönt. Als er erzählt, wie sehr es schmerzt, wenn ein Baum fällt, auf dem und mit dem man lange gelebt hat, den man geschützt hat und den man nun verloren geben muss, kann ich ihm nachfühlen. Vielleicht weil mir der Wald so lieb und teuer geworden ist, vielleicht ruht da aber gerade auch noch Häuptling Seattle in meiner Brust.

Ich war froh, dass die meditative Phase so intensiv war. Umso bewusster nahm ich die Eindrücke aus dem Wald auf, die schönen, wie die weniger schönen. Auf dem Weg zum nächsten Halt passierten wir „Jesus Point“. Hier war früher ein Ort, der den Wanderer zum Rasten einlud. Neben einem Tisch und zwei Bänken aus Holz, die auch heute noch dort stehen, gab es ein Jesuskreuz, umrahmt von Blumen und kleinen Laternen. Heute quillt der Mülleimer über, Abfall säumt den Platz. Das Kreuz wurde längst entfernt und der Platz hat durch die zu Wochenbeginn arg verbreiterten Wege einiges der verbliebenen Heimeligkeit verloren. Wir näherten uns der alten Autobahn. Die Ruhe, die bislang vorherrschte, war dahin. Der Baulärm kam näher.

Unter dem ehemaligen Standort der „Pizza“-Besetzung ließen wir uns zum Picknick nieder. Mein Mann las „Sag Nein“ von Borchert, ein Stück, das sich auf den Krieg bezieht. Inmitten des Waldes, begleitet von Polizei, die scheinbar fürchtete, wir könnten die Baumbesetzung wieder aufleben lassen (Warum sonst bekämen wir zum Picknick Polizeigeleit?), schien der Inhalt auf bizarre Weise ebenso nah wie fern.

Jeder packte Proviant aus, es wurde geteilt, geredet und dann begann wie von selbst die erste kleine Aktion. P. hatte Wolle mitgebracht, die er gemeinsam mit unserem Sohn unter großem Vergnügen um zwei Bäume drapierte. Am Ende entstand, ohne dass es geplant gewesen wäre, ein Aktivist, bunt und farbenfroh, ohne Gesicht als Repräsentant für viele, und ein Polizist.

Das Wetter war so wunderschön, dass sich alle einig waren, noch weiter laufen zu wollen, obgleich wir lange unterwegs waren. Wir gingen weiter in Richtung Autobahn, dann seitlich waldeinwärts zu einer weiteren Besetzung. Der Mensch, den wir hoch oben in schwindelerregender Höhe erblickten, tat mit leid. Hier war es unerträglich laut, es hupte und tutete, es kreischte und hämmerte – Naherholung pur…

Unsere Begleiter wollten zur Morschenicher Brücke, dorthin, wo RWE den letzten Rodungstag genutzt hatte, um schnell noch eine große Gruppe Bäume zu fällen. Bäume, die naturliebende Menschen vor Kurzem in einer Kunstaktion von Experimentellerrand mit liebevoll gestalteten Bildern geschmückt hatten, um ein Zeichen gegen das Baumfällen zu setzen. Die Morschenicher Brücke stand schon nicht mehr. Die Maschinen hatten wohl schon früher am Morgen begonnen, sie abzureißen.

Wir legten einen kurzen Halt auf der Wiese ein und machten uns dann auf den Rückweg. Als wir mit den Rädern wieder Richtung Buir unterwegs waren und auch am Abend noch, kamen uns einige Ideen. Friedliche und kreative Ideen, die wir gerne während der nächsten Spaziergänge erläutern und mit Euch umsetzen möchten.

Kontrolliert wurde übrigens heute kein einziges Mal, dafür wurden wir umso genauer beobachtet.

Noch eine ergänzende Bemerkung: Der Besuch der Wiese, ebenso wie jeder weitere Teil des Spaziergangs, sind freiwillig. Der Weg ist nicht in Stein gemeißelt, hier ist Kommunikation gefragt. Wer z.B. die Stille am See nicht ertragen mag, kann gerne in dieser Zeit ein bisschen in der Nähe herumspazieren oder einen Treffpunkt vereinbaren. Alles kann (solange es friedlich bleibt), nichts muss. Der stille Widerstand befindet sich im Wachstum, lasst uns gemeinsam schauen, was daraus wird.

Fotos vom 17. März – zum Vergrößern klicken…

Ehrengeleit

Es war kühl im Wald und etwas neblig, als mein Mann am Freitag, 18.03.2016 den Wald betrat. Mit ihm waren 5 Menschen auf dem heutigen Spaziergang. Am See lasen sie abwechselnd die Rede des Häuptling Seattle vor. Später auf dem Weg las er Konstantin Weckers „Über die Zärtlichkeit“.

Am Jesus Point wollten sie noch einmal verweilen und einen Text lesen, als zwei Polizeiwannen vorbeikamen. 8-9 Polizisten, die meinen Mann an den Vortagen bereits mehrfach kontrolliert hatten, stiegen aus zur Ausweiskontrolle. Während ein Beamter kontrollierte, stellten sich die restlichen im Kreis um die Gruppe herum. Als mein Mann wissen wollte, warum und erklärte, dass es sich um einen meditativen Spaziergang handele, antwortete man, das sei „Selbstschutz“.

Es mag sich einem nicht erschließen, warum 8 (oder mehr) mit Schlagstöcken, Pistolen und Pfefferspray bewaffnete Polizisten meinen, sich vor einer Hand voll Spaziergänger schützen zu müssen. Diese Verwunderung brachte auch mein Mann zum Ausdruck und betonte mehrfach, dass er sich in seiner Meditation gestört fühlt.

Nachdem die Polizei wieder abgezogen war, wurde eine Kleinigkeit gegessen und mein Mann las ein Gedicht vor:

UTOPIE

Ich seh ein Land mit neuen Bäumen.
Ich seh ein Haus mit grünem Strauch.
Und einen Fluss mit flinken Fischen.
Und einen Himmel aus Hortensien seh ich auch.

Ich seh ein Licht von Unschuld weiß.
Und einen Berg, der unberührt.
Im Tal des Friedens geht ein junger Schäfer,
Der alle Tiere in die Freiheit führt.

Ich hör ein Herz, das tapfer schlägt,
In einem Menschen, den es noch nicht gibt,
Doch dessen Ankunft mich schon jetzt bewegt.
Weil er erscheint und seine Feinde liebt.

Das ist die Zeit, die ich nicht mehr erlebe,
Das ist die Welt, die nicht von unsrer Welt.
Sie ist von fein gesponnenen Gewebe,
Und Freunde, glaubt und seht: sie hält.

Das ist das Land, nach dem ich mich so sehne,
Das mir durch Kopf und Körper schwimmt,
Mein Sterbenswort und meine Lebenskantilene,
Dass jeder jeden in die Arme nimmt.
(H. D. Hüsch)

Er erklärte unsere geplante „Aktion“, die Verschönerung des Jesus Point. Der Zerstörung und Verunstaltung durch RWE möchten wir etwas entgegen setzen, Jesus Point aufräumen und als Ort der Rast und der Begegnung wieder herstellen. Dieser Plan stieß bei den Anwesenden auf reges Interesse.

Nach einem kurzen Abstecher auf die Wiese machte sich die Gruppe auf den Weg zurück und wurde ein weiteres Mal kontrolliert. Mein Mann bat darum, die Dienstausweise der Beamten sehen zu dürfen. Die kontrollierende Beamtin zitierte meinen Mann zum Fahrzeug. Dort zeigte sie ihm ihren Personalausweis, den sie so hielt, dass er kaum etwas darauf erkennen konnte. Er erklärte, dass er nicht den Personal- sondern den Dienstausweis sehen wolle. Aber weder die Polizistin noch ihre Kollegen konnten (oder wollten?) ihm die Ausweise zeigen, obwohl sie nach Aufforderung dazu verpflichtet sind.

Auch auf die Frage, wie weit man sich denn der alten A4 nähern dürfe, weil Menschen häufig fragen, ob sie dort mal schauen dürfen, konnte (oder wollte?) man ihm keine Antwort geben. Zwei an ein Fahrzeug gelehnte Beamte kontrollierten ein Stück weiter am Waldausgang ganz offensichtlich, ob die Gruppe tatsächlch den Wald verlässt.

Jesus Point

Wie bereits vermutet, waren wir heute, am Samstag, den 19. März nur zu zweit. Am Waldeingang unterhielten sich Menschen mit Securities. Als klar war, dass sie nicht zu uns wollten, gingen wir alleine zum See. Mein Mann Kolja las „Der alte Kaiser“ von Konstantin Wecker.

Für den Aufenthalt am Jesus Point hatten wir neben Wasser und einem Brioche für die übliche Pause, auch Müllbeutel und Kerzen mitgebracht. Innerhalb kürzester Zeit war der Müll eingesammelt, die Tonne geleert und aufgeräumt und die bereits vorhandenen Laternchen mit Kerzen bestückt. Im Mülleimer fanden wir eine Halterung für eine Fahne o.ä., die wir in den Boden schlugen und die nun als Vase für die Plastikblumen dient, die vorher zwischen den Planken des Holztisches steckten. Feuer hatten wir vergessen.

Mein Mann bedauerte, keine Schaufel dabei zu haben. Die Verbreiterung der Wege hat zur Folge, dass am Rand Erdwülste entstanden sind, über die man drübersteigen muss – auch wenn man zum „Jesus Point“ will. Während wir noch diskutierten, dass man sicher keine Schaufel an der Polizei vorbei dorthin transportieren kann, ohne dass einem das als Waffe ausgelegt wird und dabei weiter auf dem Boden herum räumten, fiel meinem Mann unter einem Busch tatsächlich eine Schaufel ins Auge. Sofort begann er, die Erdwülste zu beseitigen. Von Weitem näherte sich langsam ein Security-Wagen und hielt ein Stück weit von uns entfernt, vemutlich, um zu beobachten, was wir da trieben. Ich glaube, sie hätten nicht verwunderter sein können, hätten wir eine Barrikade weggeräumt. Auf den Weg drauf ja, vom Weg weg, das schien sie zu verwirren.

Irgendwann flachsten wir rum und ich meinte zu meinem Mann, er könne ja die Securitiy-Menschen nach Feuer fragen. Und während ich noch sage „Das wäre schon dreist.“, fuhr das Fahrzeug bis an meinen Mann heran. Das Fenster wurde herunter gekurbelt – und mein Mann fragte tatsächlich nach Feuer. So ganz einig waren sich die beiden Insassen nicht, aber nach kurzer Diskussion im Inneren des Wagens wurde tatsächlich ein Feuerzeug heraus gereicht. Mein Mann zündete die Kerzen an, gab das Feuerzeug zurück und der Security-Wagen entfernte sich wieder. Es geschehen doch Zeichen und Wunder…

Weiterführende Idee ist es, während des Spaziergangs am Karfreitag bunte Ostereier in die Zweige rund um Jesus Point zu hängen. Das können echte Eier sein oder Eier aus Pappe, Holz oder Wolle. Nur bitte keine Plastikeier. Wir würden uns sehr freuen, wenn am Freitag viele Menschen Ostereier mitbringen und helfen, auch als kleine Überraschung für die Gruppe Menschen, die am Ostersamstag mit Michael Zobel in den Wald geht.

Auf dem Rückweg haben wir die ehemalige Besetzung „Crusty Town“ besucht. Es ist erschreckend. Mitten in intaktem Wald, in quasi maximaler Entfernung zum Tagebau, von den Wegen her nicht zu sehen, wurden drei Bäume gefällt: Molly, Ingrid und Hank. Diese sinnfreie Handlung, diese brutale Demonstration purer Macht gegenüber diesen Wesen, die über Jahrzehnte, den Jahresringen nach sogar über mehr als ein ganzes Jahrhundert Sturm und Regen trotzten, die vielen Tieren (und am Ende auch Menschen) Heimat waren, hat mich sehr entsetzt. Sinnlose Brachialgewalt, begangen von Menschen, die keine Skrupel zu kennen scheinen.

Bilder von heute:

Es wird

Heute, Sonntag, 20. März 2016, haben inklusive meinem Mann und mir 15 Personen den Wald zur leisen Eroberung betreten. Die Begrüßung fand dieses Mal vor dem „Elfentor“ (siehe Titelbild) statt, wo wir auch gleich die erste Kleinaktion starteten. Das Elfentor und der Zaubersee, wie ich sie nenne, sind so besondere Orte im Wald, dass alles stört, „was der Wald nicht selbst dorthin getragen hat“. Am Tor und an einigen Bäumen am See hingen gelbe Bänder. Diese sind ein Zeichen der Verbundenheit der Grubenranddörfer. Wir haben die Bänder an diesen beiden besonderen Orten entfernt und teilweise an anderer Stelle wieder aufgehängt.

Am See durfte ich nochmal den Häuptling von Seattle lesen, der mich sicher auch dann noch packen wird, wenn ich ihn zum hundertsten Mal gelesen habe. Allerdings gelang es mir dieses Mal besser, den Kloß im Hals zu überspielen. Nach Absprache blieben wir noch eine Weile am See stehen und lauschten den Geräuschen im Wald, dem Klopfen der Spechte, dem Zwitschern der anderen Vögel, dem Knacken des Holzes, dem Rascheln des Laubes…

Auf unserem Weg zu Oaktown kamen wir ins Gespräch, auch darüber, dass wir zunächst „Jesus Point“, dann vielleicht andere Orte im Wald, die von der Zerstörung betroffen sind, zurück erobern möchten. Ein Mensch hatte die Idee, am Jesus Point eine Art „Bücherecke“ einzurichten. Mir gefällt die Idee, dass man sich auf der Bank niederlassen und in einem Buch schmökern kann, wann immer es einem beliebt. Wenn schonmal jemand eine solche Bücherstätte im Freien eingerichtet hat, sind wir für Tipps zur Umsetzung sehr dankbar.

In Oaktown brachte Konstantin Weckers „Das Stöhnen meines Mitmenschen im Klo nebenan“ Spaziergänger und Baumbewohner gleichermaßen zum Lachen. Gute Gespräche begleiteten unseren Weg zum Jesus Point. Wir hatten eine Topfpflanze mitgebracht, die nun in der dort vorhandenen Pflanzschale eine neue Heimat gefunden hat. Es wurde gegessen und geredet, ja teilweise heiß diskutiert. Es war eine schöne Stimmung, in der wir auch die Idee erwähnten, am Karfreitag in den Wald zu gehen und als kleinen Hingucker für den am Samstag stattfindenden Osterspaziergang von Michael Zobel die Büsche und Bäume um Jesus Point mit bunten Ostereiern (s.o.) zu schmücken. Außerdem wiederholten wir nochmal, dass hier ein Platz entstehen soll, den nutzen kann, wer sich im Wald wohl fühlt und diesen schätzt. Es soll keine religiöse Gedenkstätte werden, sondern ein Ort der Vielfalt und Offenheit. Abschließend holten wir Holzhäcksel, die von der Räumung der Pizza-Plattform liegen geblieben waren und rahmten damit das Beet.

An dieser Stelle lösten wir den Spaziergang auf. Wir zeigten denen, die sie sehen wollten, den Anarchisten und den Polizisten (s.o.) und dann las Kolja für die, die nicht direkt zurück wollten, „Steig ein“ von Rio Reiser. Wir unterhielten uns noch ein bisschen, dann gingen wir zurück zum Ausgang, während ein paar Menschen noch weiter den Wald erkunden wollten.

Eines meiner persönlichen Highlights heute waren die Rehe, die, während wir am Jesus Point standen, mehrfach ein Stück weiter über den Weg sprangen. Da brauche ich dann auch kein Foto, da reichen mir die Bilder in meinem Kopf.

Vielen Dank allen, die bis jetzt an den Spaziergängen teilgenommen haben. Eine Motivation für die leise Eroberung ist es, dass jeden Tag jemand in den Hambacher Forst kommt und signalisiert, dass der Wald lebt und dass es Menschen gibt, die es kümmert, was mit ihm passiert.

Aufruf für den Karfreitag

Wir treffen uns zum Schmücken des Jesus Point samt bunten Ostereiern am Karfreitag um 11:00 Uhr am Parkplatz „Manheimer Bürge“, der wie folgt zu finden ist:

Aus Buir kommend in Richtung Morschenich fahren, unter der Unterführung immer weiter geradeaus Richtung Wald. NICHT nach Morschenich abbiegen!
Aus Morschenich kommend Richtung Buir an der T-Kreuzung hinter Morschenich nach links abbiegen, Richtung Wald.

Der Parkplatz liegt ca. 1 km hinter der Absperrung, die man einfach umfahren kann, auf der rechten Seite. Laut Auskunft der Stadt Kerpen darf der Parkplatz nach wie vor zum Parken genutzt werden.

Heute nicht ganz so viele Bilder:

Kurzurlaub

Drei Tage war ich mit meiner Tochter auf Kurzurlaub. Derweil ist mein Mann Kolja natürlich weiterhin täglich in den Wald gegangen, hier in Kurzfassung:

Der Spaziergang am Montag, 21. März 2016 startete mit Verwirrung. Zunächst hieß es, nur Personen mit Presseausweis dürften den Wald betreten. Eine Rückfrage bei der Polizei Düren ergab, dass der Wald nach wie vor für Spaziergänger freigegeben ist. Wir werden weiterhin jeden Tag in den Hambacher Forst gehen und zeigen, dass es Menschen gibt, die es noch kümmert, was mit ihm passiert. Nach wie vor treffen wir uns in der Woche um 10.00 Uhr am Parkplatz Manheimer Bürge, an Wochenenden und Feiertagen um 11.00 Uhr. Am Samstag vor Ostern findet kein Spaziergang statt, weil an diesem Tag Michael Zobel versuchen wird, den Besucherrekord seiner Führung zu knacken. Weitere Infos: http://hambacherforst.blogsport.de/2016/03/16/zusaetzliche-waldfuehrung-mit-michael-zobel-am-samstag-26-3-12-uhr/

Am Dienstag, 22. März 2016 begleitete ein Mensch aus Münster Kolja und unseren Kurzen durch den Wald. Es gab keine Ausweiskontrolle, eine Polizei, die die Situation am Jesus Point beobachtete, zog sich nach einer kurzen Weile zurück.

Am Mittwoch, 23. März 2016 war mein Mann anfangs mit dem Braunkohletouristen Todde Kemmerich unterwegs, später dann alleine. Im Wald war es ruhig, abgesehen von den Polizeiwannen, die ihre üblichen Runden dreht. Erst am Waldausgang wurde er kontrolliert. Vier auffallend freundliche Beamte versuchten, mehr über ihn und seine Beweggründe zu erfahren. So war u.a. seine religiöse Gesichtsbemalung (Tilaka) Thema. Außerdem versuchte man, von ihm Informationen bezüglich des auf der Wiese anstehenden Skill Sharing Camps zu bekommen.

Während dieser drei Tage liefen im Hintergrund Vorbereitungen zu unserer Karfreitagsaktion am Jesus Point. Gemeinsam mit anderen Waldfreunden wurde ein Holzkreuz gebaut und gestaltet. Der Öffentlichkeit hatte man diese Aktion nur als „Schmücken der Umgebung von Jesus Point mit Ostereiern“ verkauft. Und so war die Überraschung auch groß…

Die Karfreitagsprozession

14 Menschen trafen sich am Morgen des 25. März 2016 zum Karfreitagsspaziergang. Auf dem Weg in den Wald kamen uns bereits ein paar liebe, durchnässte Gestalten entgegen, die sich in der Zeit vertan hatten. Dafür, dass sie sich nach einer Stunde des Wartens lieber zu Hause aufwärmen wollten, hatten alle vollstes Verständnis. An dieser Stelle nochmal der Hinweis, dass wir am Wochenende und an Feiertagen erst um 11:00 Uhr losgehen. Nur in der Woche startet der tägliche Spaziergang schon um 10:00 Uhr.

Am See las Todde die Rede des Bregalad aus dem Herrn der Ringe. Dann ging Kolja und holte das Kreuz, das er am Abend zuvor im Laub versteckt hatte.

Das Kreuz

Vor nicht allzu langer Zeit stand am „Jesus Point“ das Kreuz der Altenhovener Pilger. Diese ließen es Anfang 2015 von RWE Power abbauen und einlagern, um es an einer neuen Wallfahrtsroute wieder aufstellen zu lassen. Am ehemaligen Standort, von Aktivisten „Jesus Point“ genannt, blieb nur noch eine einsame Pflanzschale, zwei leere Laternen und die Sitzgelegenheiten aus Holz.

Nach der Brachialgewalt, die RWE in den letzten Wochen im verbliebenen Restwald hatte walten lassen, schien dieser einstige Treffpunkt, Rastplatz, Ort der Besinnung, geschändet und verwahrlost. Eine stark verbreiterte Kreuzung, aufgehäufte Erde an den Seiten und ständig patrouillierende Polizeiwannen störten, irritierten, vermittelten ein Bild der Kapitulation und des Untergangs.

Um dem etwas entgegen zu setzen, haben wir – wie dieses Tagebuch dokumentiert – den Jesus Point aufgeräumt, Müll entsorgt, die Blumenschale neu bepflanzt, Erdwülste entfernt, Holzhäcksel verteilt, Kerzen angezündet, ein Heiligenbild aufgestellt. Es war das Bild eines Baby-Krishna, keinesfalls religiöse Übernahme sondern Wächter für diesen Platz und alles, was noch kommen sollte.

Was lag näher, als ein Kreuz zu zimmern und es aufzustellen als Zeichen dafür, dass dieser Platz nicht aufgegeben ist. Er wird geschätzt, genutzt und gepflegt. Ganz bewusst wählten wir das Kreuz als kulturelles Symbol, ebenso bewusst die darauf gezeichneten Symbole: Das ॐ (Om) als Zeichen des Gebets, das Kreuz für das Christentum, die Mondsichel mit dem fünfzackigen Stern für den Islam, den Chanukka-Leuchter für das Judentum, das Rad des Lebens für Hinduismus und Buddhismusm, E=mc² als Symbol der Wissenschaft. Es soll ein Ort sein für alle Menschen, die den Wald lieben, völlig unabhängig von ihrer religiösen oder sonstigen Überzeugung.

Nachdem die Symbolik erklärt war, trugen jene, die wollten und konnten das Kreuz und einen Eimer Wasser abwechselnd vom Zaubersee zu seinem Bestimmungsort. Wie durch ein Wunder fanden wir dort ein passendes Loch, einen Sack Schnellzement, Schrauben in Überlänge und sogar fertig geschnitzte Keile. Auch ein Gummihammer wartete ungeduldig auf seine Benutzung. Wenn das mal nicht Schicksal ist…

Auf dem Weg las Kolja „Über die Zärtlichkeit“ von Konstantin Wecker. Und Eva, Lebensgefährtin des Waldpädagogen Michael Zobel, den der Zustand des verletzten Waldes sichtlich traf, sang während der ganzen Prozession leise vor sich hin. Am Jesus Point stießen noch weitere Menschen zu uns und beobachteten, wie das Kreuz gestellt wurde. Es war ein reger Austausch, immer mit einem Blick über die Hauptwege, ob nicht doch noch eine Polizeiwanne auftauchen und die wunderbare Stimmung stören würde.

Nachdem das Kreuz stand, verteilte Eva einen Liedtext und alle sangen:

Nach dieser Erde wäre da keine, die eines Menschen Wohnung wär‘
darum, Menschen, achtet und trachtet, dass sie es bleibt.
Wem denn wäre sie ein Denkmal, wenn sie still die Sonn‘ umkreist.

Ich hatte zu Hause aus Filz bunte Ostereier ausgeschnitten und aufgefädelt, von denen jeder eines in die Bäume am Jesus Point hing. Nach einer Weile löste sich die Gruppe auf. Ein Teil ging zur alten Morschenicher Brücke, ein anderer zum Wiesencamp und ein Mensch ging in Richtung der alten A4, um zu schauen, was sich seit seinem letzten Besuch getan hatte. Noch im Wald wurde er von 6 Polizisten in Empfang genommen und kassierte gleich einen Platzverweis für die alte A4, quasi vorausschauend, denn den Wald, der für jedermann frei zugänglich ist, hatte er ja noch gar nicht verlassen.

Diese Art Staatsgebaren ist für uns, mal völlig ab von RWE Power, mit ein Grund weiter zu machen, weiterhin jeden Tag in den Wald zu gehen und Zeichen zu setzen. Vielleicht geht ihnen irgendwann auf, dass sie Ruhe und Frieden im Wald mehr stören als jeder Aktivist es tun könnte. Sie, die sie die brutal verbreiterten Wege als Straßen nutzen, um Spaziergänger zu kontrollieren und zu gängeln und um Journalisten von ihrer Arbeit abzuhalten. Sie, die sie nicht schützen, was zu schützen wäre – nämlich den Wald – sondern die Zerstörung.

Fotos von heute:

Der Sinn eines Tagebuchs

… ist eigentlich, jeden Tag aktuell etwas zu dokumentieren. Das war leider aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Heute ist der 13.04. und wir arbeiten daran, das Tagebuch wieder auf den neuesten Stand zu bringen.

Am Karfreitag startete das Skillsharing-Camp der Hambacher Forst Besetzung. Kolja schloss sich am Ostersamstag wie angekündigt dem Spaziergang von Michael Zobel an, der seine über 200 Personen große Gruppe natürlich auch am Jesus Point vorbei führte.

Am Ostersonntag, den 27. März 2016 waren wir zweimal im Wald. Die Kinder hatten Morgens im Regen keine Lust auf einen Waldspaziergang. Wir Erwachsenen hatten unseren gerade gestartet, als die Wolkendecke aufriss und die Sonne sich zeigte. Also gingen wir am Nachmittag nochmal: Ostereiersuche im Hambacher Forst.

Bereits am Vormittag fiel uns auf, dass – wie mein Mann so schön sagte – der Wind erstaunlich viel Holz auf die Wege geweht hatte. Der Hambacher Forst war nicht länger ein schutzloses Gebiet, in dem friedliche Spaziergänger sich von den Insassen blauweißer Kleinbusse belauern lassen müssen. Der Hambacher Forst war wieder ruhig. Die „Schnellstraßen“, zu denen die Hauptwege wenige Tage zuvor umgebaut worden waren, sind wieder gesperrt. Die Atmosphäre ist gleich eine völlig andere.

Was wir morgens gelesen haben, weiß keiner von uns mehr so genau. Dass es zwei wunderbare Spaziergänge waren, zeigen die an diesem Tag entstandenen Fotos.