Andante an der Kante

Andante an der Kante

Sie suchen die Konfrontation und übertreten Gesetze. Dennoch sind sie durchweg friedlich. Von den Aktivisten dieser Gruppe sind keine Sprechchöre zu erwarten. Sie werden nicht rennen, sie prügeln sich nicht. Gegen sie braucht es weder Schlagstöcke noch Pfefferspray.

Ihr angekündigtes Ziel: Sie wollen einen Braunkohlebagger blockieren.

Lebenslaute

Bereits im Vorfeld zu „Ende Gelände“ hatte das Aktionsorchester Lebenslaute eine anschließende und unterstützende Protestaktion angekündigt, die an diesem kommenden Wochenende starten wird. 60-70 Musiker im Alter von Anfang 20 bis Mitte 70 wollen einen RWE-Braunkohlebagger blockieren. Ein Teil von ihnen hat sich zu diesem Zweck bewaffnet mit Flöten, Klarinetten, Streich- und weiteren Instrumenten. Andere kämpfen einfach nur mit ihrer Stimme.

Gegründet hat sich das Aktionsorchester 1986. Seitdem protestiert Lebenslaute in der Regel einmal jährlich auf seine Weise gegen Aufrüstung, Waffenhandel, Atomraketen, Chemiewaffen, Atommüll-Endlager, die Grenzschutz-Agentur Frontex, Genmais, Abschiebung, Rassismus usw.

2014 wurde das Aktionsorchester, das sowohl aus einem festen Kern als auch aus vielen Menschen besteht, die sich den laufenden Aktionen anschließen, mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.

Ziviler Ungehorsam

Um wirkungsvoll Zeichen zu setzen, risikieren die Menschen, die sich an den Aktionen von Lebenslaute beteiligen, auch die Konfrontation mit dem Gesetz. Dies tun sie ganz bewusst und sehr stilvoll. In ihrer Konzertkleidung und mit ihren Instrumenten, bieten sie ein sehr eindrucksvolles und für Aktivisten eher unübliches Bild.

Auch nach dem rabiaten Vorgehen der Polizei während der vorhergehenden Aktion zivilen Ungehorsams „Ende Gelände“ gegen Aktivist*innen und Journalist*innen haben die Musiker von Lebenslaute keine Angst vor den „Hütern des Gesetzes“. Mit der Polizei hätten sie durchweg gute Erfahrungen gemacht, erzählt eine Aktivistin sehr entspannt. Lediglich einmal sei einem Musiker ein Bogen weggenommen worden, sonst sei die Polizei steht sehr respektvoll mit den Menschen von Lebenslaute und deren Instrumenten umgegangen. Möglicherweise sei dies der seriösen Konzertkleidung geschuldet, vielleicht aber auch daran, dass es während der jeweiligen Aktion einen Sprecher gibt, der der Polizei als Ansprechpartner zur Verfügung steht und so keine Unsicherheiten entstehen lässt.

Trotz des kalkulierten zivilen Ungehorsams verstehen sich Lebenslaute als eine Art Brücke zum bürgerlichen Spektrum. Menschen aus diesem Spektrum seien viel eher bereit, sich als Publikum an einer Aktion von Lebenslaute zu beteiligen als – überspitzt ausgedrückt – mit einer Meute laut schreiender Menschen über die Felder zu rennen.

Andante an der Kante

Wofür andere Orchester und Chöre monatelang mehrfach wöchentlich proben, das haben sie in konzentrierter Arbeit an einem Probenwochenende und in der letzten Woche vor der Aktion geschafft. Die Menschen von Lebenslaute haben ein klassisches Programm auf die Beine gestellt, welches mal vom Orchester, mal vom Chor und mal von beiden gemeinsam inszeniert wird. Geboten werden unter anderem Stücke von Beethoven, Telemann und Weill.

Vorkonzert

Anstatt die Generalprobe im (dann nicht mehr ganz so) stillen Kämmerlein abzuhalten, veranstaltet Lebenslaute sie öffentlich in Form eines Vorkonzerts. Dieses findet in Kooperation mit der Bürgerinitiative „Buirer für Buir“ am Freitag, 21.08.2015 ab 19 Uhr in der Aula der Grundschule Buir, Broichstraße 10 in 50170 Kerpen-Buir statt. Der Eintritt ist frei!

Demonstration

Auch die Demonstration, die am Sonntag, 23.08.2015 um 11:30 Uhr am Marktplatz in Kerpen-Manheim, einem unmittelbar von braunkohlebedingter Umsiedlung betroffenen Tagebaurandort, startet, ist eine Kooperation zwischen Lebenslaute und der Bürgerinitiative. Lokale Proteste zu unterstützen ist dem Aktionsorchester ein besonderes Anliegen.

Und warum?

In ihrem Aufruf zur Aktion Andante an der Kante begründen Lebenslaute ihren Protest:

„Der Braunkohle-Tagebau und die sich anschließende Verstromung beeinträchtigen die Gesundheit, gefährden das Leben und verändern das Klima. Gemeinsam mit der Atomkraft ist es eine überholte Form der Energiegewinnung. Jede neue Betriebsgenehmigung und die Pläne zur Fortführung der Tagebaue bis 2070 verhindern die begonnene Energiewende.

In Deutschland gibt es vor allem drei Braunkohle-Abbaustellen: Die riesigen Reviere Lausitz (bei Cottbus/Hoyerswerda/Zittau, Konzern Vattenfall) und Rheinland (bei Inden/Garzweiler/Hambach, Konzern RWE) sowie das Mitteldeutsche Revier (Südraum Leipzig). Lebenslaute wird in diesem Jahr die im Rheinischen Revier geplanten Aktionen unterstützen.

Braunkohlefeinstaub ist giftig. Er enthält u.a. Uran, Quecksilber und andere Schwermetalle. Beim Braunkohleabbau wird er aufgewirbelt, in den angrenzenden Kohlekraftwerken mit der Verbrennungsluft ausgeblasen und in den umliegenden Gemeinden verteilt. In den betroffenen Regionen trägt er maßgeblich zur Feinstaubbelastung bei, die nicht nur in Deutschland eines der größten Umweltprobleme darstellt.

Tagebaue zerstören Lebensraum. Hunderte von Quadratkilometern werden umgegraben, der Grundwasserspiegel der Region wird deutlich abgesenkt. Millionen von Bäumen werden vernichtet. Die Bergbaufolgelandschaft gefährdet die Wasserqualität. Im Rheinischen Revier wurden 40.000 Menschen zwangsumgesiedelt, um den Baggern Platz zu machen. Einige der Betroffenen leiden nachhaltig an diesen traumatischen Erfahrungen. Allein die Verbrennung der Rheinland-Kohle verursacht einen CO2-Ausstoß von 100 Millionen Tonnen jährlich. Das sind 10% der Treibhausgasemissionen in Deutschland. Treibhausgase führen zu weiterer Erderwärmung, dem Anstieg des Meeresspiegels und der Vernichtung von Lebensraum weltweit.

Die großen Energiekonzerne und die kapitalistische Profitlogik haben die Politik fest im Griff. Deshalb verlassen wir uns nicht auf Lobby-Arbeit oder Wahlen. Nur eine Woche nach „Ende Gelände“, einer Massenaktion Zivilen Ungehorsams gegen den Braunkohletagebau (14.-16.08.15), wollen wir mit Orchester und Chor die vielen lokalen Initiativen unterstützen, die bereits seit Jahrzehnten gegen den Braunkohle-Wahnsinn kämpfen. Lebenslaute will am 23./24.08.15 mit einem Konzert einen der riesigen Bagger an der Abbruchkante blockieren und den Betrieb mit einer musikalischen Nachtwache stören.

Wir fordern: Sofortiger Stopp des Braunkohle-Tagebaus!
Dezentrale, komplett regenerative Energieerzeugung jetzt!“

Meine Bitte an alle Menschen, die rund um den Tagebau leben:

Bitte lasst Euch nicht spalten!

Wir können und wir müssen nicht immer die gleichen Standpunkte vertreten. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß, auch wenn es sicher oft bequemer ist, in solchen Strukturen zu denken.

Unstreitbar ist, dass wir alle in irgendeiner Form beeinträchtigt sind durch Braunkohleabbau und -verstromung. Die gesundheitlichen Folgen gehen uns ALLE an! Feinstaub, Giftstoffe und Radioaktivität machen nicht vor den Türen von RWE-Mitarbeitern halt. Ebensowenig wie der Klimawandel. So legitim es für die einen ist, sich um ihren Arbeitsplatz zu sorgen, so legitim ist es, wenn andere sich Sorgen um die Gesundheit und Zukunft aller machen. Da sollte man am gegenseitigen Verständnis arbeiten und den Willen zeigen, sich an einen Tisch zu setzen und Forderungen auszuarbeiten an RWE und die Regierungen, den Energiewandel in einer Form zu beschleunigen, die nicht nur umwelt- und gesundheitsschonend ist, sondern auch die Existenzen der Menschen vor Ort nicht gefährdet, die seit Generationen für RWE arbeiten.

Bitte kommt zahlreich zu den Aktionskonzerten und demonstriert am Sonntag mit uns für einen sofortigen Stopp von Braunkohleabbau und -verstromung und dafür, dass RWE in die Pflicht genommen wird, all das wieder gut zu machen, was durch das Verschlafen der Zeichen der Zeit versäumt wurde.

©Andrea Wlazik

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Steckt Euch Eure Kohle in den Piep!

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