Das vierte Türchen im Aktionsadventskalender, für das ein ganz besonderer Mensch die Patenschaft übernommen hat, könnte zur Daueraktion zu werden. Immer und immer wieder werden verschiedenste Menschen aus dem Braunkohlewiderstand bei Zerstörung dieses Zeichens für Nachschub sorgen – bis der letzte Baum fällt…
Das vierte Türchen
Die Patenschaft für das vierte Türchen im Aktionsadventskalender hat Thymian übernommen, ein lieber Mensch aus dem Widerstand rund um die Wiese am Hambacher Forst. Unter den Augen der Polizei stellte er am Nachmittag ein neues, selbst gezimmertes Kreuz am „Jesus Point“ auf.
Zweimal musste Thymian, als er mit seinem Hund im Wald unterwegs war, seinen Ausweis vorzeigen. Beide Male wollte man ihm verbieten, Fotos zu machen, einmal riss man ihm sogar gewaltsam die Kamera aus der Hand. Aber Thymian, der ein ganz besonnener und friedfertiger Mensch ist, gelang es, die Situation zu lösen und gemeinsam mit seinem Anwalt die Polizei davon zu überzeugen, dass er sehr wohl das Recht hat, selbst die Gesichter von Polizisten zu fotografieren solange er die Fotos nicht veröffentlicht. Für Aktivisten, nicht nur für die im Hambacher Forst, ist diese Maßnahme sehr wichtig, um später Übergriffe melden zu können. Denn nicht immer nennen Polizeibeamte ihren Namen oder zeigen auf Verlangen ihre Dienstausweise vor.
Das Kreuz
Vor nicht allzu langer Zeit stand am „Jesus Point“ das Kreuz der Altenhovener Pilger. Diese ließen es Anfang 2015 von RWE Power abbauen und einlagern, um es an einer neuen Wallfahrtsroute wieder aufstellen zu lassen. Am ehemaligen Standort, von Aktivisten „Jesus Point“ genannt, blieb nur noch eine einsame Pflanzschale, zwei leere Laternen und die Sitzgelegenheiten aus Holz.
Nach der Brachialgewalt, die RWE im März diesen Jahres im verbliebenen Restwald hatte walten lassen, schien der einstige Treffpunkt, Rastplatz, Ort der Besinnung, geschändet und verwahrlost. Eine stark verbreiterte Kreuzung, aufgehäufte Erde an den Seiten und ständig patrouillierende Polizeiwannen störten, irritierten, vermittelten ein Bild der Kapitulation und des Untergangs.
Um dem etwas entgegen zu setzen, haben Menschen aus dem Widerstand den Jesus Point wieder in einen annehmbaren Zustand versetzt und ein selbstgebautes Kreuz aufgestellt als Zeichen dafür, dass dieser Platz nicht aufgegeben ist, dass er geschätzt wird, genutzt und gepflegt. Hierbei wurde ganz bewusst das Kreuz als kulturelles Symbol gewählt, ebenso bewusst die darauf gezeichneten Symbole: Das ॐ (Om) als Zeichen des Gebets, das Kreuz für das Christentum, die Mondsichel mit dem fünfzackigen Stern für den Islam, den Chanukka-Leuchter für das Judentum, das Rad des Lebens für Hinduismus und Buddhismus, E=mc² als Symbol der Wissenschaft. Der Jesus Point sollte ein Ort sein für alle Menschen, die den Wald lieben, völlig unabhängig von ihrer religiösen oder sonstigen Überzeugung – ein Ort der Toleranz, der Begegnung und des Miteinanders.
Die Zerstörung
Irgendwen hat das Kreuz gestört. Wen, das weiss man. Wegen der Aufschrift „godfree zone“, die sich auf dem nach wie vor einbetonnierten, abgesägten Stumpf befand, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um einen Menschen handelt, der ein Problem hat mit Religionen und Religiösität. Die Menschen, die das Kreuz gestellt hatten und alle, die diese Idee begeistert hatte, ärgerte das. Sowohl Sinn und Zweck des Kreuzes als auch die Motivation seiner Gestaltung waren öffentlich kommuniziert worden. Selbst wenn das irgendjemandem nicht klar war, hätte dieser Mensch darüber diskutieren können.
Selbst ein religiös motiviertes Kreuz zu zerstören hätten wir persönlich als Verbrechen angesehen. Denn es sind nicht die Religionen, die für Tod und Zerstörung verantwortlich sind, sondern Menschen, die andere nicht sein lassen können, die sich andersdenkenden als Überlegen aufspielen anstatt das Miteinander im Anderssein zu suchen. Die Freiheit, zu wählen,welcher Religion wir angehören möchten oder nicht und mit welchen Symbolen wir diese freie Entscheidung nach außen tragen möchten, ist in unserem Grundgesetz verankert und viel zu akut in Gefahr als dass man derlei entschuldigen sollte.
Auch Thymian war traurig. Anders als die meisten anderen, versuchte er sich in den Menschen, der das Kreuz zerstört hatte, hinein zu versetzen. Er sah, dass es diesem Menschen vielleicht nicht anders möglich war, als so zu handeln. Er fühlte nicht den Zorn, den wir fühlten. Kurze Zeit später nagelte er waagerecht ein Brett über den Stumpf und schrieb auf das so entstandene Kreuz (in englisch und deutsch) „Erkenne Dich selbst“.
Am vierten Dezember, wenige Tage nachdem an Jesus Point völlig grundlos und willkürlich sechs Bäume gefällt worden sind, stellte Thymian ein „richtiges Kreuz“. Nach seinem Vorbild werden sich immer wieder Menschen aus dem Widerstand finden, die diesen Ort zu neuem Leben erwecken.