Eigentlich sind schublade4Schubladen eine prima Sache. Sie geben Dingen, über die wir die Übersicht behalten wollen, einen Rahmen. Sind sie zu groß, werden sie gerne mal zu Chaosfallen. Dann hilft nur konsequentes Entrümpeln.

So wie wir Gegenstände in Schubladen stecken, um den Überblick nicht zu verlieren, stecken wir auch Menschen in Schubladen.

Auf diese Art behalten wir den Überblick über unsere Kontakte und unterscheiden sie u.a. nach ihrer Wichtigkeit. Wer aber übertreibt mit der Vorsortiererei, dem könnte einiges entgehen.

Schubladen

„Was für ein Chaos“, schoss es mir beim Öffnen meiner Besteckschublade mal wieder durch den Kopf. Es ist eine riesige Schubalde. Eigentlich ist sie viel zu groß, um nur das Essbesteck darin aufzubewahren. Aber es ist die einzige, die noch nicht für anderes verplant ist. Ich liebäugle ja schon lange mit einer schönen Apothekerkommode mit ganz vielen Schubladen, in denen jedes Ding seinen Platz hat und die einen räumlich trotzdem so begrenzt, dass man nicht in die Versuchung kommt, überflüssigen Kram hineinzustopfen.

Ich hatte mir für 2014 fest vorgenommen, weniger zu Jammern und mehr zu tun,  also riss ich kurzerhand das Schubladenungetüm aus seiner Halterung und begann mit dem Ausmisten. Was da alles zum Vorschein kam! Gespülte Schraubdeckel von längst nicht mehr existenten Marmeladengläsern, Dosierlöffelchen und -becherchen nicht mehr benötigter Arzneisäfte, Haushaltsgummis, geerbte Gerätschaften, deren Sinn sich mir nie erschlossen hat und allerlei anderes Gewusels, von dem irgendwer in unserer extrem chaotischen Familie nicht wusste, wohin damit. „Ich wusste nicht, wohin damit…“ ist ein hier sehr geläufiger Satzbeginn, der meinen Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen lässt, wie kein ein anderer. Naja, mal abgesehen vielleicht vom pubertären „Boah, ey…“ meiner Tochter.

Nachdem ich die Schublade ausgemistet, ausgewischt und wieder eingeräumt hatte, gab es nur wenige Teile, die noch jemand anders gebrauchen könnte. Etwa 40% des Inhalts landete berechtigterweise im Mülleimer.

Schubladendenken

Ähnlich verhält es sich mit Schubladen, in die wir Informationen einorden, oder sogar Menschen. Den Typen mit den ausgewaschenen Jeans, der 2/3 des Jahres in Sandalen oder barfuß durch die Gegend rennt, packen wir mal schnell in die Öko-Schublade. Die Nachbarin, die jeden Morgen hochdramatisch aufgestylt an uns vorbeihetzt ohne zu grüßen, landet in der „Tussilade“ und den immer lächelnden Verkäufer beim Edeka stecken wir kurzerhand in die Schublade der freundlichen Menschen.

Jeder von uns hat solche Schubladen, auch wenn ich von mir selber gerne denken möchte, dass ich eine Ausnahme bin. Wenn man sich und sein Handeln selbst ein bißchen hinterfragt, wird wohl auch der Offenste von uns die ein oder andere Lade finden, in die er Mitmenschen steckt, die er gar nicht richtig kennt. Vermutlich unterscheiden sich lediglich Geschwindigkeit und Kriterium unseres Sortierens.

Diese Schubladen helfen uns, das Wirrwarr der vielzähligen verschiedenen Kontakte, die wir im Laufe unseres Lebens machen, zu sortieren und den Überblick zu behalten, gut von böse zu trennen, wichtig von unwichtig, interessant von uninteressant usw.

Aber Vorsicht: Wer Menschen zu schnell in eine Schublade packt, dem entgeht womöglich der ein oder andere sehr nette Kontakt, der sich hätte entwickeln können – wenn man es denn zugelassen hätte. Manchmal versteckt sich hinter einem biestigen Gesicht ein fröhlicher Mensch, der nur einen schlechten Tag hatte. Wer nicht grüßt, ist nicht zwingend unhöflich, sondern vielleicht gerade einfach mit seinen Gedanken woanders. „Aufgebrezelte“ Menschen müssen dies möglicherweise ihres Berufs wegen sein – oder sie finden es einfach schön. Das sagt höchstens etwas über ihren Geschmack aus, aber genausowenig über ihren Charakter wie die Sandalen des vermeintlichen Ökos, das (möglicherweise aufgesetzte und rein professionelle) Lächeln des Verkäufers oder irgend eine andere Sache, die wir „von außen betrachtet“ mitbekommen.

Ausmisten!

Ich bin vielleicht keine Ausnahme, was meine Schubladen angeht. Ich habe auch meine Methode, Menschen zu kategorisieren. Es gibt da sogar die ein oder andere Schublade, die zugeleimt, zugenagelt und mit Teer versiegelt ist, damit ich auch ja keinen Kontakt mit dem Inhalt bekomme. Alle anderen Schubladen bleiben jedoch unverschlossen und werden ab und an ausgemistet. Das kann ich jedem nur empfehlen. Natürlich habe ich schon einiges an „Müll“ daraus entsorgt. Ich habe mit den Fingern auch schon in den ein oder anderen spitzen oder scharfen Gegenstand gegriffen. Und so manchereiner klebte am Boden der Schublade wie ein gelutschtes Bonbon und wollte einfach nicht da raus.

Aber ich habe auch schon so manches lang vermisste Schmuckstück wiedergefunden. Und es gibt einige Personen in meinem näheren Bekannten- und Freundeskreis, die ich auf den ersten Blick nicht dort gesehen hätte, die sich aber nach näherem Hinschauen als sehr nette und liebenswerte Menschen entpuppt haben, die ich nicht mehr missen möchte – also mache ich scheinbar doch irgend etwas richtig.

So und nicht anders werde ich es im neuen Jahr handhaben. Ich werde mir ganz sicher wieder in die Finger schneiden. Aber es zu versäumen, die vielen netten Menschen kennen zu lernen, die sich in meiner Nähe tummeln, nur wegen ein paar klebriger Bonbons oder alter Scherben, das möchte ich nicht riskieren.

© Andrea Wlazik

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