Forst

Foto mit freundlicher Genehmigung der Forstbesetzung

Sie waren kaum zu übersehen, die Schlagzeilen zur Eskalation im Hambacher Forst, einem ca. 12 000 Jahre alten Wald in Nordrhein-Westfalen, der einst etwa 5.500 Hektar maß.

Nach den Rodungen des RWE für das „braune Gold“, den Braunkohletagebau sind davon nur noch 1.100 Hektar verblieben. Der Wald berherbergt neben seltenen Baum- und Pflanzenarten auch einige geschützte Tiergattungen, wie z.B. die Bechsteinfledermaus. Seit Jahren versuchen Aktivisten den verbleibenden Restwald zu schützen, indem sie Barrikaden errichten und Bäume besetzen, um so die Rodungsarbeiten zu erschweren. Am 30./31.10. diesen Jahres eskalierte die Situation und so titelte die allgemeine Presse u.a. „Aktivisten greifen Hambacher Forst an“ (Express), „Handgranaten bei Umweltaktivisten gefunden“ (Spiegel online), „Vermummte greifen Tagebau-Arbeiter an“ (rp-online), „Scharfe Handgranaten bei Waldschützern“ (Aachener Zeitung) usw. Liest man sich die Artikel durch, wird schnell klar, dass die Überschriften bewusst reißerisch sind und mit größter Wahrscheinlichkeit nicht einmal den Tatsachen entsprechen.

Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, schwere Körperverletzung und schwerer Landfriedensbruch werden ihnen vorgeworfen, jenen, die versuchen, den Hambacher Forst zu schützen. Ja, es sind Verbrecher im Wald! Aber es sind nicht jene, die wie David gegen Goliath versuchen für den Wald zu kämpfen und für das, was er repräsentiert: das verbleibende bißchen gesunden Menschenverstand in einem radikalkapitalistischen System, dem es egal ist, wann und wie die Welt zugrunde geht. Hauptsache, die Aktienkurse stimmen. Der Hambacher Forst soll weg, trotz einer wachsenden Anti-Kohle-Bewegung. „Tatsachen schaffen“ nennt man das. Die alten Kraftwerke sind bezahlt und werfen nur noch Gewinne ab. Das soll auch so bleiben, egal wie ineffektiv diese Energieform ist, wie sehr sie auch den Klimawandel beschleunigt und wie gesundheitsschädlich sie auch sein mag. Am Kopf der Kohlemafia der Sprecher des RWE, der seine auswendig gelernten Halb- und Unwahrheiten herunterleiert, ohne überhaupt die Zeit gehabt zu haben, sich ein Bild von den Tatsachen zu machen. Direkt unter ihm die Presse, die ungeprüft veröffentlicht, was ihr vorgebetet wird.

Nicht zu vergessen die Waldarbeiter, die mit ihren Rodungsgeräten gezielt in einem Bereich gerodet haben, der laut Plan noch nicht dran war. Mittendrin haben sie angefangen, berichtet ein Augenzeuge, und dabei ignoriert, dass um sie herum Menschen auf den Bäumen sitzen. Auch der Wachschutz wurde bislang nicht erwähnt, jene Männer, die mit Schlagstöcken auf die Waldschützer losgingen, weil diese ein paar harmlose Feuerwerkskörper zündeten, um abzulenken und so die Kollegen auf den Bäumen zu schützen und die ihrerseits behaupten, der Angriff sei durch die Aktivisten erfolgt.

Vielleicht waren die Feuerwerkskörper ein taktischer Fehler, denn sie lieferten den Anlass zu einer Form von Gewalt, die von Seiten des RWE durchaus erwünscht sein dürfte, hat sie doch auf einen Schlag 14 Aktivisten von der Besetzung abgezogen.

Bleibt die Frage, was mit den prügelnden Wachleuten geschah. Nirgends steht, dass diese festgenommen wurden wegen schwerer Körperverletzung, denn genau das ist es, was im Wald geschah. Hat jemand die Schlagstöcke beschlagnahmt? Wurden zur Beweisaufnahme auch die Personalien aller anwesenden Wachleute aufgenommen, deren Fingerabdrücke und deren DNA – wie dies in 6 Fällen bei den Aktivisten passierte? Es wurde bei jeder Räumung seitens des RWE gefilmt und die Wachleute trugen Kleidung mit RWE bzw. Firmenemblem des angeheuerten Wachdienstes – warum nicht bei dieser? Warum wurden alle von den Aktivisten gemachten Aufnahmen beschlagnahmt und dürfen nicht einmal eingesehen werden? Warum haben die an diesem Tag schon vor dem Vorfall im Wald ermittelnden Beamten in Zivil nicht eingegriffen? Sitzen die Verbrecher womöglich bereits an anderer, an übergeordneter Stelle?

Auch der Umgang mit der Information bezüglich der im Wald gefundenen Kriegsmunition ist fragwürdig. So schreibt die Polizei, diese sei „mutmaßlich von den Straftätern in Tatortnähe abgelegt worden“. Mal abgesehen davon, dass es mehr als nur inkorrekt ist, verhaftete Personen als Straftäter zu bezeichnen, bevor diese von einem Gericht für schuldig befunden wurden: Wer hat denn überhaupt die Munition gefunden? Wurden Spuren gesichert, die beweisen, dass es sich um Fremdeinwirkung handelt? Ist es nicht eher unlogisch, den Waldschützern ein solches Vorgehen zu unterstellen, die sich meist in den Barrikaden und auf den Bäumen aufhalten? Man bedenke: Es handelt sich um Menschen, die den Wald und seine Bäume schützen wollen. Das sind Menschen, die eingreifen, wenn Waldarbeiter ihre Kollegen aus den Bäumen gefährden. Würden solche Menschen das Risiko eingehen, sich oder andere (oder auch „nur“ die Bäume, d.h. den Wald) zu gefährden, indem sie scharfe (oder auch womöglich „nur“ scharf zu machende) Munition in ihrer unmittelbaren Umgebung platzieren? Wohl kaum.

Was ist los im Hambacher Forst?

Informieren Sie sich selbst (z.B. hier: http://hambacherforst.blogsport.de/2014/11/02/gedaechtnisprotokoll-30-31-10/) Es lohnt sich, zum Forst zu fahren und selbst mit den Waldschützern zu reden. Wir haben dort sehr umgängliche, friedliche und vor allem soziale Menschen kennengelernt, die die Ereignisse aus ihrer Sicht durchaus glaubhaft schildern.

© Andrea Wlazik

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