Systemhure

Während ich mich für eine Anti-AfD-Kampagne mit dem Wahlprogramm dieser Partei auseinander setze, kommt mir immer wieder ein Gedanke. Nein, vielmehr ist es ein Gedankengang, der mich beschäftigt, seit ich in Kommentaren auf meiner Homepage als Gutmensch und Systemhure beschimpft wurde…

Gutmensch sehe ich absolut nicht als Beleidigung an – im Gegenteil. Aus dem Munde derer, die dieses Wort als Schimpfwort benutzen, klingt es für mich wie ein Kompliment. Zeigt es doch, dass ich nicht zu ihnen gehöre. Was für ein Glück!

Systemhure

Wir sind an einem Punkt, an dem eine Graswurzelrevolution, eine Revolution von unten, möglich wäre. Viele Menschen machen sich Gedanken darüber, was falsch läuft, mobilisieren, demonstrieren, beschweren sich. Sie beginnen sich zu empören über die Missstände unserer Gesellschaft, über Umweltsünden, über soziale Ungerechtigkeit, über ein marodes Bildungssysten. Oder sollte ich sagen, sie begannen?

Dann kamen nämlich die, die mich Systemhure schimpfen. Jegliche Form von Eigeninformation relativieren sie, indem sie jede Informationsquelle, die nicht in ihrem Sinne spricht, als Lügenpresse abstempeln. Menschen, die nicht ihrer Meinung sind, sind in ihren Augen naiv, blind und dumm – was jede Diskussion erstickt, schon bevor sie überhaupt begonnen hat.

Sie geben die Schuld an den Missständen im Rundumschlag an Amerika weiter. Und an die Flüchtlinge. Wie unglaublich einfach: Niemand wird sich im Alleingang mit Amerika anlegen. Es wird sich auch niemand mehr mit der Politik anlegen. Warum denn auch? Wir haben doch jetzt einen Schuldigen – ach nein, gleich ein paar Millionen Schuldige. Wir müssen nicht mehr kämpfen gegen große und mächtige Konzerne, gegen demokratiegefährdende Politiker, gegen überschäumende Staatsgewalt. Wie viel einfacher ist es, gegen Menschen zu kämpfen, die mit uns auf einer Stufe stehen. Oder vielleicht noch eine Stufe tiefer, weil sie unserer Hilfe bedürfen, unsere Sprache nicht sprechen, unsere Kultur nicht kennen und unser System nicht verstehen. Sind sie doch selber schuld! Sollen sie doch hingegehen, woher sie kamen!

Und in der Zwischenzeit wird CETA durchgewunken, bricht sich TTIP seine Bahn, wird die Lobby wieder stärker, werden Verträge geschlossen mit Massenmördern und sonstigen Verbrechern, passieren all die Dinge, gegen die wir gemeinsam begonnen hatten, uns aufzulehnen. Abgelenkt von einer Flüchtlingskrise, die „das Volk“ spaltet, von Politikern, die Hass und Missgunst säen und Menschlichkeit vergessen lassen – und mit ihr die Empörung. Die Empörung über die wahren Ungerechtigkeiten, die berechtigte Empörung, die aufruft zu Rebellion und Veränderung.

Nennt Ihr mich nochmal Systemhure…

©Andrea Wlazik